Author: Theodor Hilgard
Recipient: Maria Dorothea Hilgard
Description: Letter from Theodor Hilgard to his mother Maria Dorothea Hilgard, October 29, 1836.
Theodor Hilgard to Maria Dorothea Hilgard, October 29, 1836
Original text
Belleville Ende Oktober 1836. Theuerste Mutter! Ich habe Ihnen seit Anfang Juny von Monat zu Monat ausführliche Briefe geschrieben und setze voran, daß alle regelmäßig angekommen seyn werden. Hoffentlich wird nichts mich hindern, so fortzuführen, und dann werden Sie, liebstes Mütterchen, mir auch verzeihen, daß ich einmal drei Monate lang eine Unterbrechung eintreten ließ. Eigentlich kann ich mir es selbst nicht recht verzeihen und mache mir im Stillen noch immer zum Vorwurf, daß ich Ihnen vielleicht dadurch Unruhe und Besorgnisse verursacht habe. Jene drei Monate waren aber auch so recht die Zeit der Verlegenheiten, der Verdrießlichkeiten, der Überhäufung mit Feld- und Einrichtungsgeschäften aller Art, – eine Zeit, die Gottlos jetzt gänzlich vorüber ist. Sie hat den Gefühlen einer recht angenehmen Behaglichkeit, einer lebensfroher Zuversicht, — kurz der heitersten Stimmung bei allen Mitgliedern meiner Familie Platz gemacht, und wenn nicht aller Anschein trügt, so kann ich hoffen, daß deine Stimmung die herrschende bleiben wird. Ich kann in Wahrheit sagen, daß fröhliche Gesichter und rothe Backen nie mehr bei uns zu Hause waren, als jetzt. Das Gesundheitbulletin hat diesmal durch aus nichts Unerfreuliches zu melden. Alles ist vollkommen gesund und auch unser kleiner Eugen, der einzige, der bisher dem Klima seinen Tribut bezahlen mußte, hat wieder feine frische Gesichtsfarbe und seine frühere Munterkeit, so daß ein Rückfall wohl nicht weiter zu befürchten ist. Der treffliche Gesundheitszustand meiner Familie dauert fort und befestigt sich immer mehr und mehr. Von Nervenschwäche und allen damit verwandten schlimmen Dingen ist keine Rede mehr bei ihr, und jederman verwundert sich über ihr blühendes Aussehen und ihr jugendliches und heiteres Wesen. Sie hat sich mit ihren Töchtern in Damenhause nach und nach ganz allerliebst eingerichtet, so daß die Zimmer jetzt mit denen, die wir in Zweibrücken bewohnten, recht gut die Vergleichung aushalten und dies trägt, wie natürlich, viel zur zu Friedenheit und guten Stimmung der Frauenzimmer bei, so wie ich selbst mich jedesmal innerlich freue, wenn ich die Nettigkeit und Eleganz, die darin herrscht, erblicke. Könnten Sie, liebste Mutter, doch auch dann und wann bei uns seyn und das Vergnügen mit uns theilen, das der Anblick unserer hübschen Wohnung, der anmuthigen Umgebungen, des prächtigen Eigenthums, in dessen Mitte wir wohnen, und überhaupt das Ganze unserer Verhältnisse uns gewähren. Dann würde uns kaum noch etwas zu wünschen übrig bleiben,—— unbeschadet jedoch des weitern Verbesserungs- und Verschönerungs-Projecte, über denen wir manches gutes Stündchen verplaudern, und die sich unter Andern auf einen neuen Anbau beziehen, den wir auf der Seite des Backsteinhauses, die der Küche entgegengesetzt ist, zu machen gedenken, um eine vollkommene Symmetrie herzustellen und noch zwei Zimmer nebst einem zweiten und geräumigen Keller zu gewinnen. — Aber mit dem Klima unserer neuen Heimath kann ich mich diesmal ganz und gar nicht zufrieden erklären. In früheren Briefen habe ich es sehr gerühmt, weil wir, von Ende März an, einen sehr schönen Frühling und Sommer hatten. Allein nun muß ich, um der Wahrheit und Gerechtigkeit willen, auch sagen, wie sich das Wetter im Herbst aufgeführt hat. Seit Anfang September bis gegen den 20. Oktober hatten wir fast ununterbrochen kaltes und unfreundliches Regenwetter, — was uns um so auffallender war, als vielfach gedruckt und geschrieben steht, daß die Herbstmonate hier zu Lande in der Regel die schönsten und angenehmsten – im ganzen Jahre seyen. Während der erwähnten Zeit hatten wir in Allem nur 5 oder 6 helle Tage, und an denen war es so kalt, daß der Thermometer des Morgen 3 bis 4 Grad unter Null (Raum) stand, und die Wasserkübel mit einer Eiskrußte bedeckt waren. Kaum konnte meine Frau die 7 oder 8 Beete voll herrlichen Endivien, die wir in Garten hatten noch erretten. Alle Amerikaner schlagen zwar die Hände über dem Kopf zusammen und versichern, daß seit Menschengedenken kein solches Wetter um diese Zeit erlebt worden sei, — so wie auch die Deutschen, welche schon mehrere Jahre hier im Lande wohnen, es ungewöhnlich finden. Zudessen ist mir die Sache doch immer etwas verdächtig. Wenigstens scheint es, daß die Witterung hier zu Lande gern schlimme Ausnahmen von der guten Regel macht. Seit 8-10 Tagen ist übrigens das Wetter wieder angenehmer und milder; aber doch stand noch diesen Morgen (29. Oktober), als wir aufstanden, der Barometor auf dem Gefrierpunkte. Auf den allgemeinen Gesundheitszustand, hatte jedoch dieses fatale Wetter keinen nachtheiligen Einfluß, – so wie überhaupt dieses Jahr als ein besonders gesundes gepriesen wird. Seit ich das Obige schrieb, liebste Mutter, wurde ich durch mancherlei Abhaltungen an der Fortsetzung bis heute — 9. November- verhindert, und ich will nun gleich bemerken, daß wir in dieser Zwischenzeit wieder sehr angenehmes Wetter hatten, – helle und milde Tage und auch nicht allzukalte Nächte; nur den Morgen einige Stunden lang ziemlich starken Nebel. Jedermann prophezeyt nun noch 5-6 Wochen lang gute Witterung. Im Ganzen ist doch nicht gut verkennen, daß hier zu Lande das Wetter im Durchschnitt einen weit angenehmern Carakter hat als in Deutschland, und daß in dieser Hinsicht die südlichere Lage des Landes sich bewährt, wenn auch in Folge der nach mangelhaften Cultur und anderer Lokalverhältnissen, bisweilen der 38. Breitagrad sich zu verlängnen scheint. Daß ich soviel von Klima und Witterung rede, geschieht darum, weil ich vorausetze, daß dieser Punkt Sie beste Mutter, sowie unsere übrigen Angehörigen, besonders interessirt und weil er in der That für das Lebensglück nichts weniger als gleichgültig ist.— Wenn ich mich recht erinnere, so versproch ich Ihnen in meinem letzten Briefe eine nähere Schilderung unserer hiesigen Bekanntschaften und unseres Verkehrs mit denselben. Dieses Versprechen will ich nun erfüllen und billigerweise mache ich den Anfang mit denen, welchs uns durch Verwandtschaft und Freundschaft am nächsten stehen. Ich gedenke dabei mit aller Freimüthigkeit zu reden, weil Sie sonst kein Intresse darin finden und auch kein richtiges Bild unserer hiesigen Verhältnisse erhalten würden. Auch wird dabei Niemand im Wesentlichen zu kurz kommen, da ich im Ganzen von Allen, die uns näher angehen, nur Gutes u erfreuliches zu Berichten habe. Doch versteht sich von selbst, daß die Mittheilung meiner Briefe, so weit sie dieses Capitel betreffen, nur mit besonderer Vorsicht geschehen darf. Ich rede zu allererst von Eduard. Seit wir unser Gut bewohnen, war er fortwährend unser Hausgenoße und treuer Gehilfe in Freud und Leid. Sein Benehmen gegen uns verdient in jeder Hinsicht Lob und Anerkennung. Wenn auch dann und wann eine etwas zu starke Neigung zum Rechthaben und Mangel an Besonnenheit sich bei ihm zeigt, so bringe ich ihm dies nicht besonders in Anrechnung, weil es Fehler sind, die so ziemlich allen jungen Leuten ankleben. Meinem Urtheile nach ist er seit zwei Jahren in seinem ganzen Wesen feiner und härter geworden, als er früher war. Es liest viel und hat im gesundes Urtheil über literarische und politische Gegenstände. Bei den Amerikanern steht er in gutem Ansehen und da er ihre Sprache ganz geläufig spricht und ihre Sitten achtet, so geht er auch seinerseit gern mit ihnen um. Sein Verhältniß zu meiner Emma ist ganz so, wie liebende Eltern es wünschen müssen,—sei ungetrübt, beglückend für Beide. Wenn nicht Alles trägt, so wird ihre Ehe eine der glücklichsten sein. Sie wissen schon, daß Eduard sein früheres Vorhaben, sich hier als Landwirth zu etabliren ganz aufgegeben und sein Gut einstweilend verpachtet hat? Auch die Gründe, die ihn hierzu bewogen und die er schon vor längerer Zeit in einem Brief an seinen Vater auseinandersetzte,— denen ich aber nur halb und halb beipflichten kann,— werden Ihnen nicht unbekannt seyn. Die große Whisky Brennerei, die er gemeinschaftlich mit seinem Freunde Fritz Wolf errichtet, ist im Werk. Sie liegt auf meinem Eingenthum, am Richland-Creek, 300 bis 400 Schritte von unserer Wohnung, oder vielmehr, und richtiger zu sprechen, ich habe den jungen Leuten mein Acker-Land zu diesem Besuche eigenthümlich abgetreten. Dampfmaschine, Kessel, Köhren und 6 Bütten von ungeheuerer Größe sind bereits angeschafft; ein großer und schöner Keller ist fertig und mit Steinen aus meinem Steinbruche (der nur etwa 60 Schritte davon entlegen ist) ausgemauert. Auch im Brunnen von 6 Fuß im Durchmesser ist schon gegraben, und das Gebäude selbst soll, wenn die Witterung es erlaubt und die Handwerksleute Wort halten, in den nächsten Wochen aufgeschlagen werden. Doch halte ich es für wahrscheinlich, daß das Geschäft selbst erst im Laufe des nächten Sommers in Gang kommen wird. Es verspricht große Vortheile, da der Mais,- woraus der Whisky gebrannt wird sehr wohlfeil, der Whisky selbst hingegen sehr theuer ist und leicht eine bedeutende Viehmastung damit verbunden werden kann. Um das technische des Geschäfts recht gründlich zu erlernen, ist Fritz Wolf vor einigen Tagen nach dem Ohiostaate abgereist, wo viele großes Dampfbrennereien der Art existiren und wo er 4-5 Monate verweilen wird. Eduard seinerseits arbeitet seit 12 Tagen regelmäßig im Comptoir von Flanagau & Krafft in Belleville, um in die Kaufmännischen Manipulationen, die Buchführung & sich praktisch einzuweisen: Seit dieser Zeit isst u schläft Eduard in Belelville und kommt nur jeden Abend zu uns, zum Besuch und Abendeßen. Nach seiner Verheirathung wird er in Belleville wohnen, und zwar in einem netten Hause, welches Theodor Krafft jetzt eben erbaut, und welches Eduard im Voraus, gemiethet hat. Was den Zeitpunkt dieser Verheirathung betrifft, so werden Sie wissen, daß die jungen Leutchen- eine Zeit lang den Plan hatten noch im Laufe dieses Winters Hochzeit zu machen. Dies war mir und meiner Frau nicht lieb, weil wir Emma noch für zu jung halten. Doch wollten wir nicht direct widersprechen, um das Paar nicht unöthigerweise zu kränken, denn wir sahen voraus, daß Eduards Einrichtungen und mit ihnen seine Hochzeit, sich von selbst noch weiter hinaus schieben würden. So ist es dem auch gekommen, und die jungen Leute haben nun von Freien Stücken ihre Hochzeit um ein halbes Jahr hinausgesetzt, aus welchem wohl noch ein ganzes werden wird. Als wir hierher kamen bestand zwischen Eduard und den übrigen Verwandten, in Folge früherer Mißverhältnisses oder Mißverständnisse eine unangenehme Spannung. Diese hat sich jedoch seitdem, theils durch ein passendes Benehmen und freundliches Entgegenkommen von Seiten Ed's, theils durch den Umstand, daß wir nun in der Mitte stehen, gänzlich aufgelöst,— so daß jetzt nichts mehr die allgemeine gute Harmonie stört. Ich komme nun auf Theodor Krafft. Dieser gehört offenbar zu den Merkwürdigsten unter allen in diesiger Gegend angesiedelten Deutschen und zwar in doppelter Beziehung: einmal wegen der großen Einflüsse, den Amerika auf seine Persönlichkeit gehabt hat und dann wegen der bedeutenden Stellung, die er bereits unter den Amerikanern annimmt. In seinem Äussern hatt er ganz das gelassene, einsichtige und anscheinend kalte Wesen angenommen, welches den eingeborenen Amerikaner charakterisirt. Anfangs fiel mir dies ziemlich unangenehm auf und ich konnte nicht umher, ihm dies auch einigemale zu erkennen zu geben. Allein ich habe mit seitdem überzeugt, daß sein Herz von der früheren Wärme und Anhänglichkeit nichts verloren hat und daß jenes Eingehen in die amerikanische Art und Sitte eine natürliche Folge seiner angeborenen Geschmeidigkeit und seines täglichen ja fast ausschließlichen Umgangs mit Amerikanern, den sein Geschäft mit sich bringt und den er auch mit unter darum vorzog, weil früher in der deutschen Kolonie mancher Kleinliche vorfiel und manche Missklänge sich kund gaben, die ihm zu wider waren, und die unter den Amerikanern wirklich weit seltener sind, als unter den Deutschen. Wir stehen mit ihm, wie sich von selbst versteht, auf dem herzlichsten Fuße. Er besucht uns, so oft seine Geschäfte es ihm erlauben. und hat uns schon manchen angenehmen und nützlichen Dienst geleistet. Doch steht uns Ed in dieser Beziehung näher, da Theodor K. durch seine eigenen Angelegenheiten gar sehr in Anspruch genommen wird. Sein Etablisment ist nemlich weit beträchtlicher, als Sie sich wohl denken, und erweitert sich von Jahr zu Jahr, oder viel mehr von Monat zu Monat, mit Riesenschritten. Sein [?]Aheocie[/?], HC. Flanagau, ist ein feiner, gewandter und wie es scheint — ehrliebender und zuverlässiger Mann. Ich halte jedoch Th. für die Hauptperson in der Firma, da er die Buchführung unter sich hat, auch die ganze deutsche Kundschaft sich an ihn knüpft. Ihr Magazin und Kaufladen (Store) ist entschieden der brillanteste in Belleville und enthält so ziemlich Alles, von den Gegenständen des gemeinsten Befürfnisses bis zu dem des höchsten Luxus. Die besten Kaufläden in Zweybrücken können sich mit diesem bei weiten nicht vergleichen. Dabei machen Flanagau & Krafft, wie es hier zu Lande üblich ist, gute Spekulationen mit Ländereien, Mühlen. Kurz. Th. ist auf dem Wege, ein reicher Mann zu werden und zwar wird er dieses Ziel in wenigen Jahren erreichen, wenn ihn nicht besondere Zufälle treffen. Er hat sich ein Reitpferd, hat sich vor kurzen auch ein [?]Chaugen[/?] gekauft,— baut sich ein Haus in Belleville u. s. w. Dabei steht er bei den Amerikanern in ausgezeichneten Rufe und hohen Ansehn. Vermöge seiner sorgfältigern Erziehung gilt er bei ihnen für eben, so gelehrt, als klug und praktisch, und man kann sagen, daß er schon jetzt zu den fedenkünsten in Bellenville gehört. So oft irgend ein Comite gewählt wird, sei es in politischen Angelegenheiten, oder zur Anordnung eines Festes, eines Balles, einer partie de plaisieren, so ist gewiss Th.Krafft darunter und mein Empfelungsbrief bei den Amerikanern war anfangs hauptsächlich " to be the uncle of Mister Krafft." Wie sehr ich mich freue, meinen Pflegesohn in einer so guten Laufbahn zu sehen, brauche ich Ihnen wohl nicht zu sagen. Übrigens hat er selbst schon mehrmals gegen mich geäußert, daß das Kaufmannsgeschäft eigentlich seinem Geschmack nicht entspreche, und daher später, wenn er seine Unabhängigkeit gehörig gesichert habe, sich eine andere Richtung geben werde. In der That glaube ich, daß er, wenn er die juristische und politische Carriere betreten wollte, bei seinen Talenten, seinen soliden Kenntnissen und seiner guten Art mit den Leuten umzugehen, eine bedeutende Rolle spielen würde. So viel für diemal, gel. Mutter. Die Fortsetzung folgt in meinem nächsten Briefen. Tausend Grüße an alle unseren lieben Angehörigen. Leben Sie recht wohl und lassen Sie uns doch recht bald auch einmal wieder einige Zeilen von Ihrer lieben Hand zukommen. Wir hoffen nun von Tag zu Tag, unsern liebend jungen Freund Theodor Engelmann von Steinwenden ankommen zu sehn, indem wir voraussetzen, daß er im Laufe des Monats Angust abgereist sey. Vielleicht bringt er uns auch einen Brief von Ihnen mit. Nochmals, leben Sie wohl, beste Mutter,und gedenken sie unser oft freundlich und freudig. Ihr treuer Sohn Th. Hilgard Sen. Um meinem Titel als Senior Ehre zu machen und zugleich um mich vor Zahnweh gar bewahren, trage ich jetzt meinen mit Weiß u Schwarz schön stattlichen Bart rings um das Kinn und in gehöriger Länge. In der deutschen Colonie nennen mich Manche den Alten vom Berg, u Theodor Krafft sagte mir neulich, ich sehe aus, wie ein Neptun. via New=York & Havre [illegible]paiviet Madame Hilgard, mere chez Mr. G. T. Hilgard Landau Allemagne Baviere arénane. Paid New=York Lingle vom 27. Okt. bis 9. Nov. 1836. angekommen den 26l Dez.
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