Collection: Marie Hansen Taylor Correspondence
Author: Marie Hansen (Taylor)
Recipient: Lina Braun (Hansen)
Description: Letter from Marie Taylor to Lina Hansen, November 10, 1871.
Original text
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Cedarcroft, Nov. 10. 1871
Meine liebste Mutter! Um Dir immer neue u. größere Beruhigung über mein Befinden zu gewähren, schreibe ich heute schon wieder. Mit meiner Besserung schreitet es gleichmäßig, wenn auch langsam, fort. Ich gewinne täglich ein kleines Quantum an Kraft u. in Zeit von einer Woche macht das doch etwas aus. Ich bin zweimal diese Woche unten auf der Terasse gewesen, um die Luft zu genießen u. ein wenig auf u. ab zu spatzieren, u. würde es noch öfters gethan haben, wäre das Hinderniß der hohen Treppe nicht; es wird mir noch schwer sie zu steigen; Hier oben aber gehe ich jetzt ohne Schwierigkeit in der Zimmer-Fronte hin u. her, auch wohl auf den Balkon hinaus, bei hellem Sonnenschein, u. beschäftige mich überhaupt den ganzen Tag über mit Lesen, Stricken u. Nähen. Ich kann auch nun schon seit einiger Zeit wieder Lilian's Lektionen überwachen, obgleich ich ihr nur solche Arbeiten aufgeben kann, welche mein Nachdenken nicht erfordern. Sie ist seit gestern sehr eifrig mit den Vulkanen, thätigen u. erloschnen, auf dem ganzen Erdkreis beschäftigt, sucht sie auf der Karte auf, notiert ihre Lage u. Höhe u. bemerkt sich dabei das Nennenswerthe. Sie kann dies mit Anleitung ihres Lehrbuches, sehr gut für sich thun, Geographie ist entschieden ihr Lieblingsstudium u. sie hat auch bereits sehr schöne feste Kenntniß darin, doch ist sie auch der*
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Geschichte nicht abhold. So ließt sie mir z. B. ein sehr interessantes englisches Buch vor "Die Ruinen alter Städte" welches viele historische u. geographischen Thatsachen auf anziehende Weise dem Geiste vorführt. Als wir nun vorgestern von den Ruinen Karthago's laßen, u. die punischen Kriege im Anriß erzählt wurden, hatte sie manche Bemerkung dabei zu machen u. war sie nicht ganz sicher über die eine oder andere, mit ihnen zu sammenhängende Thatsache, so sprang sie auf, holte andre Bücher herbei u. schlug nach bis sie sich Gewißheit darüber verschafft hatte. Ich bemerkte dies mit viel Freude. Sie springt aber noch gar zu gern, wie ein rechter Wildfang hinaus in's Freie u. ich erlaube ihr auch bei dem schönen frischen Wetter, welches wir die letzten Wochen gehabt haben, so viel Freiheit wie möglich; es macht sie gesund u. stark, u. fähig in der Zukunft für verstärkte geistige Thätigkeit. Übermorgen früh [insertion:] Abend [/insertion] erwarte ich nun auch Bayard zurück. Es war ein unglückliches Geschick, dass er gerade nachdem ich krank geworden, eine Reihe von Vorlesungen geben musste, zu denen er sich während des Sommers hatte bereden lassen. Man bot ihm nämlich 2,000 Dollar für 16 Vorlesungen, d. h. ein u. dieselbe Vorlesung an 16 verschiedenen Orten gehalten, an, u. dies war allerdings ein Vorschlag, der nicht zu verachten. Seine nothge-
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drungene Abwesenheit war eine noch größere Prüfung für ihn, als für mich, insofern seine übergroße Ängstlichkeit für mich, während er noch zu Hause war, auch mich beunruhigte. Dennoch hätte ich es vorgezogen, wenn ich ihn hätte hier behalten dürfen. Soeben brachte mir die Post Deinen lieben Brief vom 22. u. 25. Okt., den ich schon eine ganze Weile sehnsüchtig erwartet hatte. Besten Dank dafür. Ich glaube Dir's wohl, dass Dir die Zeit zum Schreiben oft knapp geht, freue mich doch aber recht, dass im Ganzen Deine Kräfte besser auszureichen scheinen. Dass die Augen des lieben Vaters wieder abnehmen, betrübt mich recht; ebenso das Leiden der armen Tante Emilie, welches mir sehr bedenklich zu sein scheint. Gottlob dass Ida einer so großen Gefahr glücklich entgangen ist. Es muß ein großer Schrecken für Wilhelm gewesen sein. Lilian war sehr enttäuscht keinen Brief von Lina zu erhalten u. bittet diese ihr doch recht bald ein Briefchen zukommen zu lassen. Was Du mir über die herrschende Theuerung schreibst, beklage ich sehr; da wird viel Armuth einreißen u. Mancher recht zu leiden haben. So aber sind die bösen Folgen eines Krieges; sie sind so bald nicht überwunden. Ich muß doch aber nun schließen, da mein Kopf anfängt etwas müde zu werden. Das Schreiben greift auch noch am meisten an, Mein Appetit ist gut, doch muß ich strenge Diät halten, d. h. ich darf nur Ganz einfache aber kräftige Speise, dabei
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aber guten, echten Rheinwein genießen. Grüße den lieben Vater recht herzlich von mir, und die lieben Buflebs , die Geschwister, Lina, die Tanten u. Onkels, Verwandte u. Freunde. An Franz Becker habe ich einen Brief liegen, den meine Krankheit unterbrochen hat; noch aber fühle ich mich nicht stark genug, ihn zu beendigen, Lilian u. die Schwiegereltern grüßen auch recht herzlich. Gott schütze Euch! Deine Dich innig liebende Tochter Marie.
P.S. Sophie braucht sich nicht um ihren Sohn zu ängstigen: er findet hier, als brauchbarer u. geschickter Arbeiter überall ein gutes Fortkommen. Ebenso Schreiber, Gärtner sind sehr gesucht.
*Footnote: This author's "b" looks like in " a boy", but is meant to be a capital "B", so the transcription takes that into account.
*Footnote, page 1: '2169' penciled in.
Letter metadata