Collection: Marie Hansen Taylor Correspondence
Author: Marie Hansen (Taylor)
Recipient: Lina Braun (Hansen)
Description: Letter from Marie Taylor to Lina Hansen, December 28, 1871.
Original text
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New York, 12 University Place
Dec. 28. 1871.
Liebste Mutter!
Kaum hatte ich zuletzt nach Gotha geschrieben (an die gute Tante) als zum erstenmal wieder ein Brief von Dir ankam, über den ich mich natürlich sehr freute, u. diesem ist heute schon ein zweiter lieber Brief von Dir gefolgt, ohne dass ich dazwischen Dir geschrieben habe. Erst von Dir selber habe ich gehört [underline:] wie [/underline] krank Du eigentlich gewesen bist; die Tante hatte mich wohl nicht allzu ängstlich machen wollen, u. mir daher [strikethrough:] nicht [/strikethrough] Deinen Zustand weniger schlimm dargestellt. Dass Du Dich so langsam erholst, wundert mich nun freilich gar nicht, u. ebensowenig, dass Du kleinlaut u. mutlos bist über das langsame Besserwerden! Habe ich doch eben erst das Nämliche durchgemacht. Verliere aber nicht ganz den Muth, liebe Mutter, es wird doch wieder besser werden u. die Kräfte vielleicht, wenn auch langsam, sich besser einstellen als sie zuvor gewesen sind. Wäre es Sommer, anstatt Winter, so würde es freilich schneller gehen. Ich hoffe, dass Du Dir durch kräftige Nahrung aufhilfst; ich habe so guten Erfolg davon erlebt. Du solltest eine Zeitlang täglich eine Tasse [?] Liebig'sche [/?] Suppe trinken, u. sie als Medizin betrachten, und dann auch ein Glas Wein zu Deinem Essen genießen. Es ist merkwürdig, was ich in Wein habe leisten können, bis ich wieder
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zu Kräften kam. Bayard hat manchmal über mich gelacht, wenn ich eine halbe Flasche [one word crossed out] [?] Nieren [/?] steiner zum Mittagessen trank ohne dass ich ihn im geringsten gefühlt hätte. Und jetzt, wo ich wieder ganz wohl bin, habe ich nur selten das Bedürfniß ein Glas Wein zu trinken, nur dann nämlich, wenn ich mich sehr ermüdet habe. Ich habe mich Gottlob in den letzten Wochen so wohl gefühlt wie seit lange nicht u. jede Spur meiner Krankheit ist aus meinem Ansehen verschwunden. Ich bin so froh darüber dass ich oft fürchte, es möchte nicht lange dauern. Ich nehme mich aber sehr in Acht u. hüte mich vor Magenverderbniß u. großer Ermüdung. Wir sind so angenehm logirt, haben einen so guten Tisch u. gute Aufwartung, dass ich es recht leicht habe. Außerdem habe ich auch Charlotte, die ich vorigen Winter hatte, wieder mitgebracht, welche Lilian nach ihren lateinischen Stunden begleitet u. für mich näht. Das Weihnachtsfest haben wir recht hübsch verlebt. Lilian hatte sich einen recht netten Baum geputzt u. abends kamen Stoddard's u. Hans Braun zur Bescherung, der ein kleines Souper folgte. Hans sagte, es sei der erste Weihnachtsbaum, den er seit 6 Jahren sähe. Er schenkte mir einen höchste eleganten Handschuhkasten aus russischem Leder, mit einem
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[?] Aubinniter [/?] aus Elfenbein darin, ein Geschenk welches mir große Freude macht. Bayard gab mir außer einem herrlichen illustrirten Buch, einen ganz wundervollen Operngucker, ein Glas von vorzüglicher Güte u. einer Bekleidung von Perlmutter. Außerdem erhielt ich noch manches andere hübsche Geschenk. Lilian war sehr glücklich über alles was sie bekam; ganz besonders über zwei sehr hübsche Kleider, die ich ihr gemacht. Das eine ein hell blau seidenes Kleid aus einem von mir fabrizirt u. ein schwarz seidenes Überkleid, wozu als Unterkleid das blaue Merino dient, welches sie vor zwei Jahren von Dir bekam u. welches jetzt, nachdem Lilian so aufgeschossen ist, zu nichts anderem mehr herhalten will. Beide Kleider, so einfach sie gemacht sind, haben mir manchen Stich gekostet. Am Abend des ersten Feiertags ging Lilian in eine Kindergesellschaft u. trug das hellblaue Kleid; sie sah wirklich sehr hübsch darin aus. Nun muß ich Dir aber auch erzählen, dass ich recht guten deutschen Unterricht für Lilian bekommen habe. Eine Frl. Bender, welche erste vor 2 Monaten von Deutschland gekommen ist u. vortreffliche Empfehlungen hat, kommt 4mal wöchentlich u. giebt ihr Unterricht in Grammatik, Aufsätzen, Literatur u. Geschichte. Außerdem hat Lilian 2 Klavierstunden u. 3 lateinische Stunden die Woche. Anstatt der Tanzstunden wollte ich
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ihr diesen Winter lieber FreiÜbungen (Gymnastiks) machen lassen, bis jetzt ist es mir aber nicht gelungen eine Anstalt ausfindig zu machen. Da sie jeden Tag 1 1/2 Stunden Klavier üben muß u. für die übrigen Stunden auch Aufgaben auszuarbeiten hat, so ist eigentlich jeder Tag wirklich besetzt u. wir finden sogar oft für unsere gemeinsame Lektüre nicht die Zeit. Von Ferien war natürlich jetzt keine Rede; sie hat nur eben die beiden Weihnachtstage frei gehabt. Lilian profitirt viel von dieser Art des Unterrichts, da sie die ungetheilte Aufmerksamkeit der Lehrerin während der Unterrichtszeit genießt, doch ist die Art auch eine recht kostspielige. Ich muß für jede Stunde 1 1/2 Dollar zahlen; Miethe für das Klavier, was billig ist, weil ich ein altes Instrument genommen habe. - Dass meine Photographie in einem so misshandelten Zustand angekommen ist, ist mir wirklich sehr leid; es liegt da natürlich eine Schlechtigkeit zu Grunde. Bild u. Brief hätten ja auch zusammen ankommen müssen, da sie zusammen abgeschickt worden waren. Es ist mir recht lieb, dass Du nicht wieder etwas an mich in meinem Brief geschickt hast, es wäre jedenfalls wieder verloren gegangen. Es scheint es ein Postbeamter (oder vielmehr Dieb)
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auf unsre Geschenke abgesehen zu haben, denn das kleine Buch, welches ich Dir zu Deinem letzten Geburtstag schickte, ist ja auch nicht in Deine Hände gelangt. Ich habe Dir nun zwar etwas zur Weihnacht gekauft, was ich jedoch in keinem Falle in einen Brief hätte einschließen können. Ich werde Dir auch nicht sagen was es ist, bis Du es selber sehen wirst - nur so viel, dass es eben erst aus Japan angekommen u. wirklich recht schön ist. Meiner Meinung nach haben wir auf Weihnachtsgeschenke von Euch diesmal gar keinen Anspruch, da Ihr uns ja eben erst so viele schöne Sachen geschickt habt; wenn Du mir aber etwas zu meinem nächsten Geburtstag schenken willst, so möchte ich mir wohl wieder ein solches oder ähnliches Album wünschen, wie Du mir vor 3 Jahren in Gotha gabst. Ich habe viele Photographien in Kästen, für die ich keinen Raum besitze. Dass Du uns im Frühjahr noch nicht erwarten darfst, habe ich Dir schon gesagt. Es wäre uns unmöglich bis dahin unsere Angelegenheiten alle geordnet zu haben. Wir werden wohl überhaupt um alles was noth thut besorgen zu können, schon im März von hier zurückkehren müssen, u. haben dann
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sicher ein paar Monate lang vollauf zu thun. Die Blattern müssen ja wirklich recht schlimm in Gotha gewesen sein u. ich kann Gott nicht genug danken, dass Ihr von ihnen verschont geblieben seid, obgleich Du, liebe Mutter, wohl ebensoviel gelitten, als ob Du sie gehabt hättest. Über die bessern Nachrichten vom lieben Vater freue ich mich aber recht; wenn seine Augen nur nicht schwächer werden, so dass er sie einen Theil des Tages brauchen kann, muß man schon zufrieden sein; allmälig werden sie dann auch wieder stärker; u. dass er stundenlang von der Arbeit wegbleiben muß, ist ihm vielleicht recht heilsam u. verlängert sein Leben um Jahre. Über Lina's Brief hat sich Lilian sehr gefreut; sie gedenkt ihn entweder noch mit dieser, oder mit der nächsten [insertion:] Post [/insertion] zu beantworten. Das Papier kam leider zu spät für den Weihnachtsbaum. Es muß wohl auf der "Hansa" gekommen sein, die so lange bei Neufundland hat liegen müssen, weil etwas an ihr verunglückt war. Dass Ida sich so langsam erholt, wundert mich eigentlich nicht. Ein Übel wie sie es gehabt, schwächt ja den Körper enorm. Ich sollte aber meinen, dass die Heil- gymnastik für sie nicht taugte. Sie
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haben ja doch wohl einen Arzt erst darüber befragt? Wir haben schon so kaltes Wetter, u. gerade vor Weihnachten, gehabt wie es nur selten hier vorkommt. Dann schlug es in einer Nacht vollständig um u. der 1ste Weihnachtsfeiertag brach an in mildester Frühlingsluft. Gestern aber wurde die Luft schon wieder schärfer u. heute war ein kalter Tag. Ich sehe aus den Zeitungen dass auch in Europa schon große Kälte geherrscht u. viel Schnee gefallen ist. Zum Schluss nun noch meine u. Bayard's herzlichste Glückwünsche zum neuen Jahre: Gott schenke Euch geliebte Eltern recht viele frohe u. [underline:] gesunde [/underline] Tage u. uns Allen ein frohes Wiedersehen! Deine Dich innig liebende Tochter Marie
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