Collection: Marie Hansen Taylor Correspondence
Author: Marie Hansen (Taylor)
Recipient: Lina Braun (Hansen)
Description: Letter from Marie Taylor to Lina Hansen, May 19, 1875.
Original text
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New York, 31. W. 61st Street Mai 19. 1875
Meine liebste Mutter!
Dein lieber Brief vom 25. April, für welchen vielen Dank, traf vorige Woche ungewöhnlich frühzeitig ein, u. war daher um so willkommener. Daß Du Deine Erkältung noch nicht ganz los warst, thut mir recht leid. Dann bekümmert es mich wirklich sehr, daß Du jetzt, wo doch keine häuslichen oder Familienpflichten Dich mehr ans Haus binden u. Du gehen u. kommen könntest wie Du wolltest - daß Du jetzt nichts zur Stärkung Deiner Kräfte unternehmen willst. Ich bin überzeugt daß das gänzliche Herausreißen für Dich schon an u. für sich von großem Nutzen wäre u. daß nur der Entschluß dazu Dir schwer werden würde, daß Du dann aber mit andern Gedanken u. angefrischt zurückkehren u. statt es schwerer zu finden, Dich mit größerer Leichtigkeit u. frischerem Muthe in die ungewohnten Verhältnisse einleben würdest. Daß Du eine gute u. gesunde Luft dort im Garten hast, will in Deinem Falle nicht viel sagen. Sie ist die Luft der Niederung u. Du bedarfst zur Stär-
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kung nicht nur Luftwechsel, der an u. für sich schon den Nerven heilsam ist, sondern die höchste Potenz einer nervenkräftigenden Luft, welche Du nur auf dem Gebirge oder an der See findest. Auch zur Vertreibung des Heimwehs würde eine Veränderung gut sein. Das war ja meine schlimmste Befürchtung bei Deinem Entschluß fortzuziehen, daß Du das Heimweh haben würdest. Ich wusste, daß es so kommen würde! - Recht lieb war mir der Schluß Deines lieben Briefes, worin Du noch schnell von Wilhelm’s unerwartetem Besuch berichtest. Du hast Dir gewiß viel zu viel Sorgen um seine Verhältnisse gemacht u. solltest seine Eigenthümlichkeit, über seine pekuniären Verhältnisse sich nicht auszusprechen, nicht so hoch bei ihm anschlagen. Er kommt hierzu ganz legitim, denn der liebe Vater hatte ja ganz dieselbe Eigenthümlichkeit u. hielt auch, selbst Dir gegenüber hinter dem Berge mit seinen Einnahmen. Es steckt Wilhelm höchst wahrscheinlich im Blute u. er weiß nicht anders, als daß es so recht ist. Von seiner Frau habe ich kürzlich einen Brief erhalten. Sie freut sich unaussprechlich
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auf das Haus. Auch erhielt ich letzte Woche einen Brief von Emma, der im Ganzen recht munter geschrieben war.
Der Untergang des "Schiller" hat wohl auch in Hamburg großen Jammer u. Schrecken hervorgerufen. Es waren auf ihm so viele Frauen u. Kinder von Deutschen der mittlern Klasse, welche zu Besuch bei Verwandten hinüber gingen, u. was für ein Schicksal hat sie getroffen! Das Unglück kann übrigens nur durch großes Ungeschick oder Vernachlässigung herbeigeführt worden sein. Die Adlerlinie, hören wir, geht ganz ein. Auf der Hamburger Hauptlinie aber ist alles für den Sommer so stark besetzt, daß kein Platz mehr zu haben ist. Dies ist freilich die Zeit, wo die Meisten hinüberreisen. Am letzten Sonnabend sind zwölf Dampfschiffe mit 2,500 Passagiren! von hier nach Europa abgegangen. Die Kriegsgerüchte haben sich ja glücklicherweise wieder gelegt, auch scheint es mir, daß sie ohne Grund waren.
- Um wieder auf Deine Angelegenheiten zurückzukommen: - könntest Du Dir nicht vielleicht in Gotha eine Art Geschäftsführer zulegen - ich meine Deine Geldverwaltungsangelegenheiten in die Hände eines zuverlässigen Mannes legen, der sich mit solchen Dingen abgiebt. Du würdest ihm natürlich für seine Dienste etwas
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zahlen müssen, aber wie viel besser das, als Deine fortwährende Noth u. der Verdruß welcher Dir daraus erwächst. Du könntest Wilhelm sagen, Du sähest, daß er nicht die Zeit habe sich eingehend um Deine Angelegenheiten zu bekümmern u. wolltest ihm dadurch eine Erleichterung verschaffen. Ich halte auch wirklich dafür daß W. zu viel zu thun u. auf sich liegen hat, um Deine Vermögensverwaltung pünktlich besorgen zu können. Darin liegt höchst wahrscheinlich der Grund seiner Versäumniß.
Wir haben diesen Monat über endlich schönes Wetter gehabt, aber ab u. zu ist es doch noch recht kühl. Darüber darf man aber jetzt nicht klagen, denn die Hitze wird bald genug kommen. Wir hatten am Sonntag vor 8 Tagen einen entzückend schönen Tag in Cedarcroft. Es war als wäre über Nacht der Frühling eingezogen, die gestern noch kahlen Waldbäume waren mit grünem Hauch übergossen, die Blüthen erschlossen sich u. überall keimte u. wuchs es. Dabei ein windstiller, sonniger Tag, der uns erlaubte im Freien zu sitzen u. uns so recht zu laben. Die Zeit verging nur leider zu schnell u. wir [insertion:] gingen [/insertion]
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Montag Vormittag mit großem Widerstreben fort. Lilian’s Schule aber litt kein längeres Fortbleiben. Zum eben verflossenen Pfingsten hatten wir gleichfalls herrliches Wetter. Wir hatten zum Essen ein paar Freunde bei uns. Zum Pfingstmontag, der aber hier nur von den Deutschen berücksichtigt wird, machte sich Ida ein Vergnügen, das ich ihr sehr gönnte. Sie ging mit Bekannten auf dem Flußdampfer eine Strecke nordwärts, nach einem Park, wo die Deutschen ein Fest hatten u. kam erst Abends spät wieder. Lilian war an dem Tag in der Schule, Bayard in Geschäften unten in der Stadt, u. so nahm ich die Einsamkeit wahr alle Wintersachen wegzupacken u. die Sommergar- derobe hervorzuholen. Ich bin nämlich verhältnißmäßig ebenso im Raum beschränkt wie Du u. weiß wie unangenehm es ist. Ich habe beständig nur wegzupacken, u. dann vergesse ich wo die Sachen sind u. es ist kein Ende von Unbequemlichkeiten. Bayard geht nun heute fort nach der Universität Cornell im obern New - York Staat, wo er die mit seiner Profeßorenstelle zusammenhängenden Vorlesungen über deutsche Literatur geben muß. Er giebt nur 7 u. hofft am 1. Juni wieder zurück zu sein. Er geht
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sehr ungern fort u. betrachtet die Profeßur überhaupt mehr wie eine Last, deshalb gedenkt er sie auch niederzulegen. Wie stehen hier, so zu sagen, auf dem Sprunge. Alles wird schon auf unser Weggehen für den Sommer berechnet. Jetzt eben habe ich eine Näherin auf 8 Tage im Hause, welche unsere Sommerkleider in Stand setzt. Am 7. Juni geht dann meine Köchin fort, weil sie behauptet keine gute Stelle bekommen zu können, wenn sie länger bleibe. Wir müssen uns die übrige Zeit behelfen, was auch recht gut geht, da wir wahrscheinlich, sobald Lilian’s Schule schließt auf 8 Tage nach Cedarcroft gehen. - Daß Grethchen in eine höhere Klasse gekommen war, wusste ich noch nicht. Sage ihr, daß ich mich darüber freute. Lasst sie aber nur nicht zu viel sitzen u. arbeiten, damit ihre Gesundheit nicht leidet. Die Prinzipalin von der Schule, welche L. besucht, erlaubt nicht daß die kleinen Schülerinnen, wie Grethchen, irgendwelche Arbeit mit nach Hause nehmen, sie müssen alles in der Schule arbeiten, u. sollen sich zu Hause nur ausruhen u. ausspringen, was sehr vernünftig ist. - Der Raum ist aber zu Ende, liebe
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Mutter u. die Zeit abgelaufen, darum schließe ich mit herzlichen Grüßen
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von Bayard u. Lilian an Dich. Grüße auch von uns allen drei an Hans u. die Kinder. Mit inniger Liebe Deine T. Marie
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Soeben sagt mir L. daß sie etwas einzulegen wünscht. Auch trägt mir Ida noch Empfehlungen auf.
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