Collection: Marie Hansen Taylor Correspondence
Author: Marie Hansen (Taylor)
Recipient: Lina Braun (Hansen)
Description: Letter from Marie Taylor to Lina Hansen, November 26, 1874.
Original text
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New - York , 31. West 61. Street Nov. 26. 1874
Meine liebste Mutter!
Habe recht vielen Dank für Deinen lieben Brief vom 2ten Nov. Wenn er mir nur bessere Nachrichten über Dein Befinden gebracht hätte! Es quält mich recht, daß Dein Magen so gar schwach ist. Das zehrt natürlich an Deinen Kräften. Du hast wohl noch keinen hom.* Arzt gefunden? Wenn Du Dich doch, mir zur Beruhigung, nach einem umsehen wolltest! Und nimmst Du auch öfters am Tag etwas Nahrhaftes zu Dir? Wein, Bier? eben noch besser, kräftige Suppe? oder ein Ei? Ein so schwacher Magen will cajolirt werden u. auf alle Weise gehätschelt. Du solltest alle 2 Stunden etwas zu Dir nehmen, wenn es auch noch so wenig ist. Daß bei solchen Schwächezuständen auch Dein Gemüth wieder trüber, ist ja ganz begreiflich. Es geht das Hand in Hand. Unbegreiflich ist es auch mir, daß Scheibner nichts hatte von sich verlauten lassen. Solltest Du nichts Entschiedenes oder Zufriedenstellendes über die Publikation eines Nekrologs von ihm bisher gehört haben, so bitte ich, daß Du mir umgehend die gesammelten Notizen schickst u. ich will dann versuchen schnell noch ein Charakterbild des lieben, unvergeßlichen Vaters zu entwerfen, was dann vielleicht in den Druck
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kommen könnte. Wäre mein Leben seither nicht ein so gar unruhiges gewesen u. eine so überwältigende Arbeit an mich herangetreten, wie diese Übersiedlung, so hätte ich mich wohl schon früher dazu entschlossen. Ich fange nur eben erst an u. athme ein bischen freier auf. Nicht daß ich unser Logis u. Hausstand in Ordnung hätte, aber die dringenden Arbeiten sind wenigstens beseitigt u. ich kann es nun etwas leichter nehmen. Ich hätte Dir bereits gestern, mit dem Hamburger Dampfer, geschrieben, wenn ich nicht einen meiner bösen Schnupfenanfälle eben gehabt hätte. Heute erst ist mein Kopf wieder freier. In unserm neuen Logis gefällt es uns eigentlich recht gut - wenn es nur ein wenig größer wäre. Es gehört ein ordentliches Studium dazu alle unsere Sachen unterzubringen. Auch habe ich kein Logirzimmer u. werde deshalb ein Schlafsopha anschaffen u. ins Eßzimmer stellen müssen. Ich schicke Dir ein Diagram von unsrer Etage mit u. habe alles darauf so viel als möglich benannt. Dadurch, daß wir so hoch herauf in die Stadt gezogen sind, haben wir die Miethe "billig" bekommen. Weiter unten hätten wir für geringere Bequemlichkeiten 125 Dollars per Monat zahlen müssen. Wir wohnen hier fast wie auf dem Lande. Das Gebäude in welchem
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wir, nebst 19 andern Familien wohnen, ist bis jetzt das einzige in dieser Straße, welche an den großen, breiten Boulevard stößt, in welchen Broadway hier oben ausläuft. Jenseits des Boulevard liegt der Central Park, welcher da seinen Anfang nimmt u. meilenweit sich erstreckt. Vorn, nach der Straße heraus haben wir die Aussicht nach der angebauten, bevölkerten Stadt hier, links den Boulevard u. die Parkecke, rechts in einiger Entfernung ein kleines Stückchen vom Hudson - Fluß u. darüber hinaus die blauen, jenseitigen Höhen. Hinten hinaus sehen wir links eine zum Theil angebaute Straße, rechts den Park u. gerade aus den Boulevard u. daneben liegende felsige Bodenerhöhungen mit Bretterhütten darüber zerstreut in denen einstweilen eine niedere Population sich angesiedelt hat, bis der Unternehmungsgeist in seinem unaufhaltsamen Vordringen sie wegrasirt, die Felsen sprengt, den Boden planirt u. elegante Wohnhäuser längs des Boulevard’s aufstellt.
In unserer Miethe ist übrigens inbegriffen der Portier, welcher das Treppenhaus rein hält etc., ferner heißes u. kaltes Wasser für Küche u. Schlafstuben u. DampfHeizung für das Parlor u. die anstoßen
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Was hast Du für Auslagen für unsere gefärbten Kleider gehabt? u. was sonst noch?
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den Räume, so daß wir außer dem Küchenfeuer nur noch ein Kamin, das in der Bibliothek zu heizen haben. Im übrigen ist die Wohnung höchst bequem eingerichtet. In der Küche sind feste Waschkübel mit Abzug u. Hähne für heißes u. kaltes Wasser über jedem. In unserer freilich sehr kleinen Speisekammer steht ein fester Eisschrank. Dann haben wir einen sogenannten "Dumb-waiter" - (stummen Diener) welcher vom Dache des Hauses bis in den Keller fährt u. auf welchem alle Lasten, wie Kohlen, Markt-Einkäufe etc. in jede Etage eingeführt werden. So z. B. klingelt der Milchmann frühmorgens. Ida stellt ihren Milchtopf auf den Dumb-waiter u. in wenig Minuten kommt er voll zurück. Ida findet alles so wundervoll bequem, daß sie etwas Lust hatte alle Arbeit allein zu besorgen. Ich halte es aber doch für besser noch ein Küchenmädchen nebenbei zu halten, da ich sonst niemand habe der mir beim Nähen behülflich ist. Noch habe ich aber kein passendes gefunden. Eine Freundin von Ida, die früher bei Wolff’s diente, mit Namen Ottilie, hat uns beim Einzug geholfen u. kommt vorläufig zum Waschen u. Plätten. Ida geht es, unberufen, so viel besser, daß sie ganz glücklich darüber zu sein scheint. Sie hat wirklich in der letzten Zeit erstaunlich viel geleistet u. ist eigentlich kräftiger dabei geworden. Sie giebt es der nahrhaften Kost in Amerika Schuld, wo die Leute ja täglich 3mal Fleisch bekommen u. zwar Fleisch, welchem nicht durch vorheriges
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Abkochen die Kraft entzogen ist.
Vorige Woche sah es noch recht bunt bei uns aus. Ich hatte Zimmerleute, Anstreicher u. Schreiner alle auf einmal hier; die ersteren waren vom Hauswirth geschickt, indem einiges im Logis noch unfertig war; der letztere brachte 3 Tage zu meine Möbel zu leimen u. wieder herzustellen u. aufzufrischen. Nun sieht aber alles wieder recht schön aus u. die ganze Wohnung hat einen gemüthlichen Anstrich gewonnen, der noch erhöht werden wird, wenn die Bilder erst aufgehängt werden. Der Mann dazu hat sich noch nicht eingestellt. Für Parlor, Eßzimmer, Bibliothek u. mein Schlafzimmer habe ich recht schöne Teppiche ausgesucht u. legen lassen. Die Thüren u. Fenster u. ein großer Spiegelrahmen [insertion:] (mit Spiegel darin natürlich [/insertion] über dem weißen Marmorkamin im Parlor (u. auch im Eßzimmer) sind sehr elegant aus Wallnuß - u. Mahagoniholz zusammengesetzt. Dagegen sind die Wände noch weiß. Der Hauswirth will sie erst nach einem Jahr ausmalen lassen (da das Haus ganz neu ist).
Lilian geht seit Montag vor 8 Tagen in die Schule, wo es ihr sehr gut gefällt. Sie hat jeden Morgen einen ganz ordentlichen Spatziergang dahin zu machen. Es nimmt ihr eine gute Halbestunde Zeit. Die Stunden fangen um 9 an u. hören um 2 Uhr auf, so daß sie den größten Theil vom Nachmittag zu Hause
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ist. Sie ist ganz wohl u. haben sich keine üblen Folgen ihrer Krankheit gezeigt. Zu Weihnachten wird in einer uns befreundeten Familie eine kleine Komödie aufgeführt, worin ihr eine Rolle übertragen ist. Es macht ihr viel Vergnügen. Jede Woche ist eine Probe u. da diese Abends sein muß u. der Weg ein enorm weiter, hat Mrs. Vaux vorgeschlagen, daß Lilian dann immer die Nacht bei ihnen bleibt, was ich gern angenommen, da ich Lilian sonst das Vergnügen versagen müsste. Julia, die Tochter vom Hause, ist in ihrem Alter u. schon früher mit ihr befreundet. Es ist eine ebenso nette Familie wie die Bohnsted’sche in Gotha. - Der arme Bayard ist jetzt im fernen Westen - in Minnesotta u. muß sich gewiß allerlei Entbehrungen gefallen lassen, während wir in dem komfortablen Daheim sitzen, welches er für uns ermöglicht hat durch seine Mühen. Er schreibt aber immer mit frischem Muth. Von nächster Woche an kommt er uns allmälig wieder näher. Seine Vorlesungen haben ihm bis jetzt goldene Früchte getragen u. wir sind jetzt ebenso reich wie wir in letzter Zeit arm waren.
Ich freue mich recht darüber, daß Hans eine so schöne Reise gemacht. Da hat er Dir gewiß recht viel erzählen können. Auch über manche andere Nachricht, die Du mir mittheilst, freue ich mich. Grüße Hans u. die lieben Kinder recht herzlich. Auch Lilian schickt viele Grüße an Euch allesammt. Ida läßt recht sehr danken, daß Du sie im Andenken behältst u. lässt sich empfehlen.
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Die obige ist jetzt die richtige Adresse von uns. - Gott gebe, liebste Mutter, daß es Dir besser gehe u. ich recht gute Nachrichten von Dir erhalte. Mit inniger Liebe Deine Tochter Marie.
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Die obige ist jetzt die richtige Adresse an uns.
*Footnote, page 1: hom. = homöopathisch.
Letter metadata