Collection: Marie Hansen Taylor Correspondence
Author: Marie Hansen (Taylor)
Recipient: Lina Braun (Hansen)
Description: Letter from Marie Taylor to Lina Hansen, December 9, 1874.
Original text
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New - York, 31. West 61st St. Dec. 9. 1874
Meine liebste Mutter!
Gestern haben sich unsere Gedanken gewiß vielfach begegnet . - es war ein trauriger Tag für uns. Wie dankbar bin ich doch, den Tag die beiden letzten Jahre noch mit Dir u. dem unvergeßlichen Vater verlebt zu haben. Es waren ja freilich diese beiden Geburtstage keine so frohen Familienfeste wie ehedem, denn es lag der Schatten des herannahenden Endes schon auf dem lieben Vater; aber es sind mir doch sehr theure Erinnerungen. Er mochte es wohl vor einem Jahr gefühlt haben, daß der Tag ihm nicht wiederkehren sollte. Er war so auffallend still u. verstimmt. Wie deutlich sehe ich ihn vor mir! Wiewohl in seinem Falle mit dem Schicksal nicht zu hadern ist, denn er hatte ein Alter erreicht, wie es vielen nicht gegeben ist, bleibt es doch fort u. fort schmerzlich ihn verloren zu haben. - Vor einigen Tagen laß ich in der Tribune von der Landung der amerik. Observatoren auf den Kerguelen. Vielleicht wird es Hans interessiren die Schilderung zu lesen u. auch Dich, wenn er sie Dir übersetzt. Unsere [insertion:] d.* [/insertion] Landsleute müssen natürlich mit gleichen Widerwärtigkeiten u. Entbehrungen zu kämpfen gehabt haben.
- Für Deinen lieben Brief vom 16. Nov.
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herzlichen Dank. Ich freute mich besonders zu hören, daß es mit Deinem Magen besser ging. Möchte es doch so bleiben! Gehst Du denn aber nicht jeden Tag etwas aus? Wenn es auch nicht weit ist, so wäre es doch gewiß besser für Dich. Frische Luft u. Bewegung in ihr sind wesentliche Gesundheitsbedingungen. Mit Elisabeth geht es jetzt hoffentlich wieder ganz gut. Die Verdauungsstörung hängt gewiß mit ihren Zähnen zusammen, denn sie ist ja sonst ein so kräftiges u. gesundes Kind. Es wird Dir doch eine Zerstreuung sein, liebe Mutter, ein Bäumchen für die beiden Kinder aufzuputzen u. wenn auch sonst alles so anders geworden ist, wirst Du Dich doch an ihrer Freude mit freuen. Von den andern Kindern, großen u. kleinen, wird gewiß keins verlangen noch erwarten, daß Du für sie einkaufen u. einpacken solltest, u. ich hoffe wirklich daß Du dergleichen nicht unternommen hast. Ein jedes freut sich gewiß schon hinreichend über ein Geschenk an Geld, denn daß Du es daran nicht fehlen lässt, weiß ich ja aus Erfahrung. Ich habe die 3 blanken Goldstücke recht gut angewandt u. mir einen sehr schönen Nähtisch dafür gekauft, über den ich mich unendlich freue u. für den ich Dir so recht innigen Dank sage. Ich hatte nämlich
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durch eine Geschäfts-Konnexion der "Tribune" Gelegenheit Möbeln, die wir brauchten, billiger als gewöhnlich zu kaufen, u. so kam es, daß ich mir den Nähtisch auswählte. Er ist von amerik. Wallnuß, mit gleichem Holz von französischer Importierung eingelegt. Er passt ganz genau zu meinem Schreibtisch u. den andern Möbeln die wir haben. Ich wollte Du könntest unsere Zimmer einmal sehen. Jetzt, da sie eingerichtet u. die Bilder aufgehängt sind, sehen sie recht schön u. wohnlich aus. Wir werden ja hoffentlich allmälig lernen uns mit dem Platz zu beschränken, denn vollgepackt sind alle unsere Räume u. in unsern Schlafzimmern haben wir kaum mehr Platz zum umdrehen als in einer Schlafkajüte. Sehr wohlthätig ist uns die schöne freie Luft hier, die eigentlich so gesund ist wie auf dem Land. Seit vorgestern haben wir endlich auch ein KüchenMädchen, denn Köchin kann ich sie nicht nennen, da sie das Kochen erst lernen muß. Sie ist Irländisch, leider aber noch nicht lange eingewandert jung u. willig.
Bayard ist nun auf der Rückreise begriffen, d. h. er kommt uns täglich ein Stückchen näher. Diese Woche ist er aber immer noch weit genug weg. Er wird wohl heute in St. Louis sein. Seinen Briefen nach ist er
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immer noch frisch u. guter Dinge. Das Wetter ist ihm zeither recht günstig gewesen.
Lilian geht es sehr gut. Sie studirt u. amüsirt sich. In der Schule macht sie recht erstaunliche Fortschritte u. die Vorsteherin hat sich lobend über sie ausgesprochen. In der Algebra, die sie eben erst angefangen, hat sie ihre Klasse schon übereilt u. soll allein fortstudiren, bis sie die höhere Klasse in dieser Branche eingeholt hat. Im Latein ließt sie in ihrer Klasse das 3. Buch der Aeneide, u. findet es leicht. Ihr Amüsement besteht einzig u. allein in den Vorbereitungen zur Aufführung der Comödie zwischen Weihnacht u. Neujahr u. den Proben dazu, die sie mir wöchentlich einmal auf über 24 Stunden entführen. Sie kommt immer sehr vergnügt zurück u. ich bin recht froh daß sie diese Zerstreuung hat, denn anderes kann ich ihr in dieser Beziehung eigentlich gar nicht bieten, da wir so weit entfernt wohnen. Wir haben immer noch sehr schönes Wetter, meistens ganz milde u. trocken; nur selten einmal 2 - 3° Kälte.
Daß Emma’s Nerven wieder so angegriffen sind, thut mir recht leid. Wie könnte es aber anders sein; sie hat zu viel auf sich liegen. Das Nähren des Kindes ist wohl zum großen Theil mit daran Schuld. Wagner ist ja
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wohl seit gestern heute auf dem Rückweg begriffen? Über Luischen’s Übel bin ich recht betrübt, sowohl ihret- als auch der armen Tante wegen. Es ist wirklich ein rechtes Schicksal für die letztere.
Wegen der Briefe von Humbold werde ich mich mit Bayard besprechen, wenn er zurückkehrt. Die Grabrede habe ich noch. Ich bin in all diesem Rummel wirklich an nichts als das Nothwendigste gekommen. Aber nach Weihnachten werde ich sie kopiren u. zurückschicken. Die Briefe irgend welcher namhafter Gelehrten würde ich sorgfältig aufbewahren. Sie können für den Biographen noch von großem Werth sein, um z. B. einen gewissen Datum festzustellen, oder dergleichen. Mit Deinen Bestimmungen über unsere Briefe u. die vom Onkel Emil bin ich ganz einverstanden.
Wir hätten Dir so gern ein kleines Weihnachtsgeschenk in diesen Brief gelegt, wenn wir nur etwas passendes gefunden hätten! Nimm den guten Willen für die That, was freilich wenig genug ist. Unser Weihnachten wird wohl auch ein stilles sein. Unsere schönste Feier wird Bayard’s glückliche Rückkehr sein, so Gott will.
Von Cedarcroft höre ich öfter. Im Ganzen geht es gut dort. Nur meine Schwiegermutter war letzthin nicht recht wohl. Sie hatte keinen Appetit u. fühlte sich schwach. Sie arbei
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tet zu viel, d. h. sie nimmt wirklich harte Arbeit vor, wozu Kräfte gehören. Ich habe sie einigeladen auf ein paar Wochen früher zu kommen, damit sie sich erholt. Meinem Schwiegervater hätte es wirklich recht schlimm gehen können. Er hat sich den kleinen Finger mit der Heuschneidemaschine fast ganz abgeschnitten. Der Chirurg hat ihn geschickt wieder zusammengesetzt u. er wird wohl noch mit einem steifen Finger davonkommen. Grüße Hans u. die Kinder recht herzlich von uns. Lilian schickt der lieben Großmama recht innige Grüße. Und möchte es Dir so recht gut gehen, liebe Mutter, wenn dieser Brief Dich erreicht!
Mit innigster Liebe Deine Tochter Marie
P.S Ida läßt sich Dir recht freundlich empfehlen. Sie ist ganz munter u. wohl.
*Footnote, page 1: d = deutschen.
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