Collection: Marie Hansen Taylor Correspondence
Author: Marie Hansen (Taylor)
Recipient: Lina Braun (Hansen)
Description: Letter from Marie Taylor to Lina Hansen, December 28, 1874.
Original text
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New - York, 31. W. 61st St. Dec. 28. 1874
Meine liebste Mutter!
Wenn ich meine Absicht, Dir sogleich Deine beiden lieben, rasch nacheinander empfangenen Briefe vom 30. Nov. u. 9. Dez. zu beantworten, nicht ausge- führt habe, so verzeihst Du mir wohl, denn ich hatte so vielerlei gerade in jenen Tagen vorige Woche zu thun, daß ich wirklich keine Ruhe zum Schreiben fand. Das fest u. Bayard’s kurze Anwesenheit waren vereint daran schuld. Es war mir eine unerwartete Freude Deinen Brief zum Weihnachtsfest zu erhalten, obwohl er freilich viel Trübes enthielt. Wie konnte es anders sein! Diese Jahreszeit bringt soviel Wehes in unser Gemüth zurück. Daß Deine Gesundheit unter all diesen traurigen Gedanken u. Einflüssen leidet, ist begreiflich; es macht mir aber das Herz recht schwer. Ich kann nicht ohne Bangen an Dich denken. Ich hoffe aber doch, daß Du Dich nun wieder etwas herausreißen u. zerstreuen wirst. Die Freude an den Kindern, u. der Umstand, daß Du Dein Opfer nicht vergeblich bringst u. sie sowohl wie Hans so viel heiterer u. zufriedener siehst, sollte dazu beitragen. Ich hoffe sehnlichst auch bessere Nachricht über Elisabeth’s Befinden zu erhalten. Es ist mir doch rätselhaft wie ein*
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anscheinend so gesundes, strammes Kind so lange kränkeln kann. Ich wollte Hans könnte sich überreden lassen, daß sie hohe Kleider mit langen Ermeln, wenigstens im Winter, tragen sollte. Die Ärzte dringen jetzt überall darauf, daß die Kinder nicht mit bloßem Hals u. Armen gehen sollen. Auch sollten die Kinder in der Winterzeit wärmere Hosen tragen. Du sprichst dein Bedenken über Lilian’s Kleidung im Winter aus; sie aber trägt dicke Bergent Hosen u. welcher Unterschied zwischen diesem Stoff u. dem dünnen Shirting, aus dem die Hosen der Repsoldschen Kinder gemacht sind! Der Tag an welchem wir von Kennett nach New - York reisten, war ein so warmer, daß wir es in unsern Winter-Kleidern kaum aushalten konnten. Lilian’s Anfall von Diphteritis war durch Ansteckung verursacht worden. Der Tischler welcher das Packen für mich unternommen, blieb mitten in der Arbeit weg, weil 3 seiner Kinder u. der Geselle der ihm geholfen plötzlich an Diptheritis erkrankten. Das jüngste Kind starb den Tag darauf. Er hat uns die Krankheit mit in’s Haus gebracht u. Lilian war die-jenige welche den Keim dazu in sich hatte; deshalb wurde sie angesteckt. Die andern Kinder
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bekamen nur böse Hälse.
Lilian läßt Dir vielmals für Dein liebes Briefchen danken u. verspricht Dir nächstens zu schreiben. Sie ist jetzt vollauf mit Aufführung der Komödie beschäftigt. Morgen Abend ist die erste u. übermorgen die zweite Representation. Ich bin eine der Zuschauerinnen morgen Abend. Dann ist sie auf Donnerstag zu einem kleinen Tanz bei Mrs. Putnam eingeladen, worauf sie sich gewaltig freut. Ihre Toilette wird ziemlich dieselbe sein wie voriges Jahr bei Bohnsted’s.
Bayard kehrte am 20. d. Mts.* glücklich u. wohlbehalten vom Westen zurück. Er blieb einen Tag u. reiste wieder ab um noch ein paar Vorlesungen vor Weihnachten zu geben. Am 24. kam er früh morgens heim u. blieb bis zum 26., wo er in der Frühe wieder abreiste um am Abend im nordwestlichen Pennsylv. zu reden. (Du weißt man kennt hier keine 2te Feiertage.) Ich erwarte ihn nun erst Neujahrsmorgen zurück, u. von da an wird er, glaube ich, jeden Sonntag zu Hause sein können. Er war sehr angenehm von unsern Zimmern überrascht. Sie sind aber auch wirklich sehr schön u. gemüthlich eingerichtet. Unsere vielen schönen [?] karten [/?] schmücken mein Parlor u. nehmen
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sich reizend aus. Unter ihnen ist vieles was ich Dir verdanke. Die Tischdecke ist wie zum Teppich u. den Möbeln gemacht u. nimmt sich sehr schön aus. Die schönen Tassen u. die geschliffenen Gläser werden sehr bewundert. Wir haben den Heiligabend ganz für uns u. still verlebt. Meine Schwiegermutter war ein paar Tage vorher gekommen. Wir hatten einen kleinen hübschen Baum u. Lilian wurde durch ein reizendes kleines Schreibpult beglückt u. mehrere andere hübsche Sachen. Auch gab ich ihr eines von meinen buntseidenen Kleidern, die nun schon den zweiten Winter ungebraucht im Schrank hängen müssen. Bayard schenkte mir einen großen schwarz u. weiß gemalten Fächer u. eine große, prachtvolle, illustrrte Ausgabe seiner Faustübersetzung, 1. Theil, ein Buch welches im Handel 40 Dollars kostet. Vorn hatte er ein Gedicht an mich hinein geschrieben.
Daß mich der Tod der guten Tante Emilie recht betrübt hat, kannst Du Dir wohl denken. Für sie selber aber ist er ein rechtes Glück, zumal sie Gott so sanft hingenommen hat. Die arme Natalie ist tief zu beklagen. Ich hoffe, daß die Herzogin v. B. sie nicht verlassen wird. Ich schreibe noch heute an sie.
Meine Schwiegermutter u. Lilian senden herzliche grüße. Erstere sieht schmal aus. Die
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Ruhe scheint ihr hier gut zu thun. Bayard hat mir auch viele
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herzliche Grüße an Dich hinterlassen. Er beklagte mit mir am 8. Dez. daß unser lieber Vater den Tag u. die Resultate der Venus-Beobachtung nicht hat erleben können. Grüße Hans u. die Kinder vielmals von Deiner Dich innig liebenden Tochter Marie.
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Die allerherzlichsten Wünsche z. Neuenjahr von uns allen drei: möchte
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es Dir vor allem Gesundheit bringen u. so viel Erfreuliches, daß Dein Gemüth wieder froher werden kann!
*Footnote, page 1: '2321' penciled in.
*Footnote, page 3: d. Mts. = des Monats.
Letter metadata