Collection: Marie Hansen Taylor Correspondence
Author: Marie Hansen (Taylor)
Recipient: Lina Braun (Hansen)
Description: Letter from Marie Taylor to Lina Hansen, April 7, 1875.
Original text
[page 1 (sheet 1, right-hand side):]
New York, April 7. 1875
Meine liebste Mutter!
So recht, recht froh war ich aus Deinem lieben Brief vom 17. März zu sehen, daß es mit Deiner Gesundheit nun doch entschieden besser geht. Aber, liebe Mutter, etwas zur Stärkung Deiner Nerven musst Du doch thun mit der Ankunft der warmen Jahreszeit. Es gilt jetzt Deine Körperkräfte zu unterstützen u. sie fähig zu machen, den zukünftigen Winter ohne Schaden zu ertragen. Die schlimmste Zeit für Dein Gemüth ist ja nun auch mit Gottes Hülfe vorüber, so fasse wieder Muth zum Leben, liebste Mutter, u. thue was in Deinen Kräften zur Stärkung Deiner Gesundheit, damit es Dir besser gehe u. Du noch manche Freude im Leben habest. Wie lieb von den beiden Kindern, daß sie so eifrig für Deinen Geburtstag gesorgt haben! Wie ist es ihnen zu gönnen, daß sie Dich haben!
Daß August schon so schnell seine Stelle wechseln würde, hatte ich nicht erwartet. Ich freue mich aber, daß er so schnell wieder, u. wie es scheint, ein gutes Unterkommen findet. So recht eigentlich betrachtet, war er mit seiner Familie in Sch. doch ziemlich wie im Exil, fern von allen andern Familiengliedern u. In einem abgelegenen Winkel Deutschlands, wo die Civilisation noch nicht recht hingekommen schien. Sei so gut u. theile mir seine zukünftige Adresse mit, da ich gern an ihn schreiben möchte. Daß Du mit
[page 1,left-hand margin:]
Wenn die Goldfeder nicht besser schreibt, will ich Dir eine andere in einem Brief schicken
[page 2 (sheet 2, left-hand side):]
Wilhelm Dich noch immer nicht über Deine Geldangelegenheiten völlig auseinander gesetzt hast, ist mir sehr leid. Ich würde Dir dringend rathen Deine finanziellen Angelegenheiten in eigene Hände zu nehmen. Du wirst Dich sehr bald in das Geschäftliche, welche in Berücksichtigung kommt, finden u. es fehlt Dir nicht an Zeit, die Verwaltung des Vermögens zu besorgen. Du wirst weit zufriedener dabei sein. Hinsichtlich der 3,000 rt* Interessen müsstest Du vielleicht jetzt gerade Nachricht mit ihm haben. Der Hauskauf nebst Aufbau war unvorhergesehen u. nimmt wahrscheinlich alles in Anspruch was er von Mitteln auftreibt. Ich bin dafür, daß Du es mit Zahlung dieser Summe anstehen lässt, bis die Geschäfte sich haben u. Wilhelm eher die Mittel dazu hat. Auch bin ich für mein Theil der Ansicht, daß Du ihm die Zinsen auf diese Summe, wenn Du sie länger bei ihm stehen lassen solltest, nicht anrechnest, u. ich hoffe die andern Geschwister werden mir darin beistimmen. Ja, eigentlich brauchtest Du deswegen, wenn Du so gesonnen bist, gar niemand darum fragen, da diese 3,000 rt nicht Kapital, sondern Zinsen sind, u. die Verfügung über die Zinsen Dir allein zukommt. Ich für mein Theil erachte, daß ich kei- nen Anspruch auf diese Summe als Kapital habe u. möchte lieber keinen Heller davon zu meiner zukünftigen
[page 3 (sheet 2, right-hand side):]
Benutzung davon haben, wenn ich bedenke, daß Wilhelm es von uns allen am schwersten gehabt hat u. es am Ende noch hat. Keines von uns hat sich für die Existenz so geplagt, sichs so sauer werden lassen wie W. Dazu das Hauskreuz was er erlebt, die Kosten welche ihm die untergrabene Gesundheit seiner Frau gemacht u. möglicherweise noch machen wird. Nein, liebe Mutter, handle nachsichtig mit ihm u. schenke ihm lieber etwas, als daß Du ihn drängst seine Verpflichtungen zu erfüllen. Ich würde nicht so entschieden mich hierüber ausgesprochen haben, wenn ich nicht wüsste, daß Du im Grunde auch so fühlst, u. nur Deine Gewissenhaftigkeit uns [insertion:] andern[/insertion] gegenüber Dich nicht abhält W. gegenüber so zu handeln wie Dein Herz Dir eingiebt. Dabei setzte ich jedoch voraus daß W. Dir die Zinsen des eigentlichen Kapitals regelmäßig auszahlt, denn dieser bedarfst Du zu Deiner eignen Annehmlichkeit u. Deinem Lebensunterhalt. Auf Zahlung dieser Zinsen, musst Du auf jeden Fall dringen, sollten sie nicht freiwillig kommen.
Lilian behauptet, daß sie Lina für die Schürze gedankt, daß sie ihr überhaupt 2 Briefe geschrieben, ohne eine Ant-wort von ihr zu erhalten.
Von Bayard erhielt ich heute eine Depesche aus Dubuque, am obern Misissipi, dem weitesten Punkt
[page 4 (sheet 1, left-hand side):]
seiner diesmaligen Tour. Ende nächster Woche darf ich ihn zurück erwarten. Nach einer Frühlingswoche, in der ich aber ein paar Tage an einer heftigen Erkältung zu Bette liegen musste, haben wir heute zur Abwechslung wieder ein Schneewetter gehabt. Der Schnee ist aber bereits wieder geschmolzen. An einem der letzten Abende hatten wir wieder eine kleine Gesellschaft jungen Volkes hier, in welcher es recht lustig herging. Lilian ist bei einem Kränzchen, welches sich kürzlich gebildet hat u. reihum geht. Es waren ungefähr 20 bei uns versammelt, junge Damen u. Herren, die alle gut miteinander bekannt sind, sich gegenseitig beim Vornamen nennen u. sehr nett u. ungenirt mit einander umgehen. Die Hauptunterhaltung besteht in Gesellschaftsspielen, geistreichen u. unsinnigen. So spielten sie hier z. B. "Mehlhäufchen", welches ich vorschlug. Keins kannte es außer L., u. es rief viel Lachen u. Spaß hervor. Das arme Opfer, welches den Ring herausholen musste, war ein netter kleiner Mensch von 15 Jahren, der mit der größten Gewissenhaftigkeit sich in das Mehl versenkte u. mit einem ganz weißen Gesicht u. einem Mund voll Mehl sich wieder erhob. Jetzt eben ist L. in das Machen eines neuen Kleides vertieft. Eine Näherin, die ich bestellt, hat uns heute wenigstens im Stich gelassen, u. so nähen L. u. Ida darauf los. Ich bin
[page 5:]
in der letzten Zeit auch anstrengend fleißig gewesen. Ich erhielt ganz unerwartet den Antrag von Stuttgart aus, die Geschichte Deutschlands, welche Bayard für die hiesigen Schulen geschrieben, ins Deutsche zu übersetzen. Nun hatte ich dieses Buch bereits während meines letzten europäischen Aufenthaltes zum Theil übersetzt, u. in der Voraussetzung, es hier zu gleicher Zeit mit der Publikation des Originals herausbringen zu können, von Therese [?]Budckeus*[/?] mir helfen lassen. Der hiesige deutsche Verleger machte aber damals Schwierigkeiten u. die Arbeit blieb unvollendet liegen. Ich war daher ganz froh, die Übersetzung nun doch noch verwerthen zu können u. habe jetzt die Hälfte des Buches zum fortschicken bereit liegen. Dem Übereinkommen nach muß es am 1. Mai in Stuttgart sein, u. die andere Hälfte am 1. Juli nachfolgen. Die zweite Hälfte wird mir aber mehr Arbeit machen, da ich an ihr noch einen Theil zu übersetzen habe. Ich bekomme 200 Dollars Papier dafür, wovon ich aber an Therese [?]Buddeus[/?] abzugeben habe. So hatten wir es ausgemacht.
- In den nächsten Tagen werde ich auch an die gute Tante Auguste schreiben. Ich hatte es vorige Woche zu thun beab-
[page 6:]
sichtigt, da aber wurde ich krank. Es war ein schlechter Streich der mir überhaupt dadurch gespielt wurde. Es war Lilian’s Ferienwoche (die letzten Ferien ehe die Schule am 16. Juni für den Sommer schließt) u. ich hatte ihr die Cousinen Sickels eingeladen u. mich gefreut mit ihnen auszugehen u. ihnen allerlei von N. Y. zu zeigen. Aus dem wurde nichts, die jungen Mädchen mussten sich auf eigne Hand so gut es ging amüsiren. Lilian lässt Dich herzlich grüßen. Sie hat endlich auch einen Brief von Ida Bohnstedt. Grüße Hans u. die Kinder auch vielmals von uns. Elisabeth wird mir wohl nächstens einmal einen englischen Brief schreiben? der Blick aus Deinen Fenstern ist gewiß im Frühjahr recht schön. Ich denke mich oft in Deine hübschen, wohnlichen Zimmer, sie haben mir gar gut gefallen. Ich bin aber auch oft mit meinen Gedanken in den Räumen der Sternwarte in Gotha u. kann mir nicht recht vorstellen, daß das alles nicht mehr ist. Hatte Dir denn eigentlich Mädel die Pfirsiche geschickt, wie ich ihm aufgetragen? Ich habe nichts darüber gehört. Nun aber muß ich schnell schließen. Gott erhalte Dich u. mache Dich gesund u. kräftig. Deine dich
[page 1, left margin:]
innig liebende Tochter Marie.
[page 1, right margin:]
Ida lässt sich Dir empfehlen. Es geht ihr besser.
*Footnote, page 2: rt = Reichsthaler.
*Footnote, page 5: or Luddeus.
Letter metadata