Collection: Marie Hansen Taylor Correspondence
Author: Marie Hansen (Taylor)
Recipient: Lina Braun (Hansen)
Description: Letter from Marie Taylor to Lina Hansen, May 11, 1876.
Original text
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New-York, 142. East 18th Street. Mai 11. 1876
Meine liebste Mutter!
Zum Glück erhielt ich vor einigen Tagen ein Zettelchen von Tante Aug. - in Begleitung eines Briefes den ich für Tante Natalie an ihren [?] Neffen [/?] befördern sollte - u. auf diesem Zettelchen erwähnt sie, daß es mit Deinem Befinden besser gehe. Sonst müsste ich mir ernstlich Sorgen machen, denn ich habe nun schon seit vielen Wochen keinen Brief von Deiner lieben Hand. Ich nehme daher wohl mit Richtigkeit an, daß ein Brief von Dir sich auf dem nach England zurückgekehrten Dampfer "Göthe" [strikethrough:] sich [/strikethrough] befand u. daß ich ihn nun über England bald erhalten muß. Aber schwer wird es mir doch diese ganze Zeit über ohne direkte Nachricht von Dir zu sein. Die nach Dichtern benannten Schiffe haben viel Unglück, man sollte sich hüten auf ihnen sich dem Ocean anzuvertrauen. Da sind die ursprüng- lich der alten Hamburger Linie angehören- den Schiffe doch weit seetüchtiger, als diese von der Adlerlinie überkommenen, zumeist auf Ausenanker gemünzten Fahrzeuge. Wir sind heute recht erfüllt von dem ge- strichen, herrlich abgelaufenem Festtage in Philadelphia - der Eröffnung der Welt- ausstellung u. der Hundertjahrfeier. Von uns ist freilich Bayard allein Augen- zeuge gewesen, seine Schilderungen aber in Wort u. Schrift u. die sehr umfassende Behandlung der Feier in der heutigen "Tribune", haben mir ein so vollständiges Bild davon entworfen, daß mir ist als wäre ich dabei gewesen. B. hat
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mir einige Nummern der heutigen Tribune mitzubringen versprochen u. da werde Ich eine davon an Hans schicken, der Dir dann erzählen kann, was sie enthält. Auch sende ich Dir ein Blatt aus einer illustrirten Zeitung, welches die Ausstellungsgebäude in einiger Entfernung zeigt. Die Eisenbahnbrücke ist diejenige, welche wir von N.Y. kommend passiren, die andere Brücke ist eine von denen, die die Stadt Phil.a mit dem Fairmount Park, in dem die Ausstellung stattfindet, verbindet. Wir hatten Eintrittskarten zur Eröffnung für uns drei, ich fürchtete mich jedoch vor der Anstrengung, dem Gedränge etc., u. so ließen wir B. allein gehen, was auch recht gut war, da ich seit vorgestern Abend einen tüchtigen Schnupfen - den ersten seit Jahr u. Tag - habe. B. reiste schon vorgestern Mittag ab u. hatte grosse Noth schon damals auf dem Zug unterzukommen, so besetzt war er vom Zudrang. Gestern Vormittag fanden bei herrlichem Wetter, aber einer heißen Sonne die Feierlichkeiten mit großem Erfolge u. in Gegenwart von über 200,000 Menschen statt, von denen etwa 5,000 geladene Gäste waren. Nach Beendigung der Eröffnungs- feierlichkeiten machte B. sich auf den Rück- weg, fand dieselben Schwierigkeiten auf dem überfüllten Zug, wodurch Ver- spätung stattfand u. kam erst um 8 Uhr abends in N.Y. wieder an. In Phil.a hatte er um 2 Uhr etwas gegessen u. das war gut, denn die Verspätung erlaubte ihm keine Zeit zu einem Abendessen. Er eilte vom Bahnhof nach der Tribune-Office u. begann seinen Bericht für das heutige Blatt zu schreiben, womit er erst
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halb 12 Uhr fertig würde. Nach Mitternacht kam er endlich ganz ausgehungert, wie Du Dir denken kannst nach Hause, wo ich transpirirend zu Bette lag u. die Mädchen auch lange schon im Bette schliefen. Der arme Mann suchte nun selber nach Brod u. Butter u. fand außer den letzteren, im Eisschrank, auch einen Schnitt gekochten Schinken, der ihm einladend aussah u. vertilgte es. Diesen Morgen war er so müde, dass er sich kaum ermuntern konnte. Ich ließ ihn auch länger als gewöhnlich liegen u. schickte die Köchin schnell nach ein paar [?] Schkoteletten [/?] für ihn, da ich frischen Fisch (Makrelen) u. Eier für unser Frühstück beordert hatte, ihm aber jedenfalls etwas Fleisch noth that. Das Wetter hat uns in der letzten Zeit übel mitgespielt. Wir haben uns die ärgsten Temperatur- Sprünge müssen gefallen lassen. Erst rauh u. kalt vorige Woche, sprang zu Ende derselben die Witterung plötzlich um u. wir hatten 3 Tage lang Juli- hitze. Wir wussten uns vor Unbehagen kaum zu lassen, denn unsere dünnen Sommer-Unterkleider jetzt schon anzulegen, wagten wir nicht u. so standen wir von früh bis spät die Qualen eines Schwitzbades aus. Ein heftiger Regen u. Wind machte diesem ein Ende u. die Luft kühlte sich ebenso rasch wieder ab, als sie sich erhitzt. Davon habe ich nun den Schnupfen. Ich sehne mich recht nach dem Lande, wo es jetzt herrlich sein muss. Annie schrieb die Luft dufte nach frischem Laub u. Blüthen u. jeder Athemzug sei eine Wonne. So lange aber Lilian's Schule dauert muss ich doch mit ihr hier bleiben - es sei denn, dass wir die letzten 5 Schulwochen fahren
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liessen. Lilian ist nämlich seit einer Woche gar nicht wohl - sie ist nicht krank u. auch nicht gesund, klagt über [insertion] den [/insertion] Kopf, geschwollene Drüsen u. dergleichen. Ich fürchte, daß sie zu viel über den Büchern hat sitzen müssen u. daß sie eine Zeit des Ausruhens vom Lernen bedarf. Ich habe immer gesagt, daß ich dem Lernen ein Ende machen werde, sobald ich merke, daß ihre Gesund- heit dabei leidet, u. werde mein Wort halten. Ich habe sie schon seit Anfang der Woche nicht zur Schule gehen lassen u. darauf gesehen, daß sie ihr Gehirn nicht benutzt - ich habe sie nicht einmal lesen lassen. Da sie aber nicht viel besser scheint, habe ich nach dem Arzt geschickt, der aber erst morgen Nachmittag kommen kann, denn er ist der erste [underline:] deutsche [/underline] Arzt hier u. [underline:] sehr [/underline] begehrt. Ehe ich diesen Brief abschicke, theile ich Dir noch mit, was er von L.'s Zustand meint. Es wäre freilich traurig, wenn sie so kurz vor Thorschluss ihre Stu- dien aufgeben müsste, denn gerade auf diese letzten Schulwochen kommt so viel in Hinsicht des Examens an - allein die Gesundheit ist ein zu köstliches Gut, um es zu vernachlässigen u. sollte Allem voranstehen.
Von Emma Lamborn ist soeben ein Brief da. Es geht ihnen allen wieder gut, aber sie leben doch im fernen, uncivilisirten Westen wie im Exil. Emma scheint es wenigstens so zu betrachten, besonders da jetzt, seit dem Eintritt des Frühjahrs, die [underline:] Klapperschlangen [/underline] sich an der Erdoberfläche zu sonnen anfangen. Wie kann man da mit Kindern Leben?
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Vor etwa 8 Tagen erhielt ich auch einen Brief aus Gotha von Ida, woraus ich leider sehe, daß ich nicht auf Wilhelm's Besuch hoffen darf. Der Kostenpunkt scheint ihn allein von der Reise abzuhalten. Ich finde es ja freilich erklärlich, daß er nach den gehabten großen Ausgaben, die Kosten einer solchen Reise scheut, u. doch ist es gar zu schade, das er alles Anregende u. Belebende was ihm die Ausstellung im Maschinenfache bieten würde, darüber einbüßen soll. Alles stimmt darin überein, daß eine solche Maschinenausstellung nicht nicht dagewesen sei. Das Studium derselben würde ohne Zweifel befruchtend auf seinen Geist wirken u. wer weiss ob er nicht auch die eine oder andere vortheilhafte Geschäftsverbindung sich erkämpfen könnte. Ohne von meiner getäuschten Hoffnung dabei reden zu wollen, halte ich es gerade für Wilhelm, für einen einen Verlust.
12. Mai. - Der Doktor war vorhin hier u. meinte, daß es bei Lilian nur eine unterdrückte Erkältung sei u. verordnete ihr hauptsächlich Schwitzen. Du brauchst Dich also ihretwegen nicht weiter zu ängstigen. Ich schließe jetzt in Eile, damit der Brief noch über Bremen mit fortkomme. Gebe Gott daß es Dir gut gehe u. ich bald etwas von Dir höre. L. u. B. grüßen herzlichst. Beste Grüße von mir an Hans u. die lieben Kinder. Deine Dich innig liebende Tochter Marie
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