Collection: Marie Hansen Taylor Correspondence
Author: Lina Braun (Hansen)
Recipient: Marie Hansen (Taylor)
Description: Brief von Lina Hansen an ihre Tochter, Marie Hansen Taylor, 22. September 1860.
Original text
[page 1 (sheet 1, right-hand side):]
Gotha, den 22ten September 1860
Meine liebe Maria!
Schon seit Anfang der Woche wollte ich Dir schreiben daß Wilhelm endlich vorigen Freitag, d. 14ten Sept. hier angelangt ist, aber ich konnte bis heute nicht dazu kommen, ich kann nicht mehr, so wie sonst, das durchsetzen, was ich mir vornehme. Wilhelms Aussehen fanden wir alle sehr verändert, er ist sehr mager geworden, im ersten Augenblick war ich sehr betroffen darüber, aber ich glaube jetzt u. hoffe es, daß seine überstandenen Leiden keinen anhaltend nachtheiligen Einfluß auf seine Gesundheit ausüben werden. Er ist sehr gefährlich krank auf dem Rothen Meere gewesen u. wir müssen es als ein ganz besonderes Geschenk von Gott ansehen, daß er die Krankheit u. alle andern Gefahren, denen er entgangen, überstanden u. wieder zu uns zurückgekehrt ist. Auf das Rothe Meer will er nie wieder gehen, er kann es nicht schrecklich genug schildern, überhaupt glaube ich, daß er sich nie wieder zu einer solchen Expedition entschließen wird, er hat nicht allein mit dem Klima hat er zu kämpfen gehabt, sondern auch mit den Menschen, die Engländer haben die deutschen Ingenieure, obgleich sie sie nicht entbehren können, doch so oft sie konnten mit ihren Stolz u. Uebermuth verletzt. Nach all diesen ungeheuren Plagen
[page 2 (sheet 2, left-hand side):]
haben sie nun auch nicht einmal die Befriedigung, daß das Kabel brauchbar ist, 14 große Fehler haben sie aufgefunden u. ausgebessert u. nachdem haben sich wieder neue gefunden. Wilhelm sagte, daß das Kabel selbst von so schlechten Draht gemacht sei, daß es nie tauglich werden würde u. nichts übrig bliebe, als ein neues besser gearbeitetes zu legen. Um das Maaß nun voll zu machen, will Siemens den dabei betheiligten Ingenieuren auch noch die Hälfte der ihnen auf dem Rothen Meere versprochenen Diäten, (täglich 6 Pf. St.1) abziehen, weil diese Expedition so viel länger gedauert habe, als man, wie dieses Versprechen gegeben wurde, vermuthete. Du wirst Dir denken können, wie empfindlich dieses Benehmen für Wilhelm ist, er ist empört darüber u. nur mit Widerwillen bleibt er in Diensten eines solchen Hauses. Fände sich nur irgendeine annehmbare Stelle für ihn, er würde die jetzige bei Siemens gleich aufgeben. Je länger die Ingenieure auf dem Rothen Meere bleiben mussten, je größer wurden die Entbehrungen u. die Gefahr für ihre Gesundheit u. um so gegründeter ist ihr Recht die vollen Diäten zu beanspruchen. Diese Angelegenheit liegt sehr drückend auf uns, mir ist der Gedanke, daß Wilhelm im Dienste eines solchen Hauses bleiben soll, ganz schrecklich, wir wissen nicht wozu wir ihm rathen sollen, es wird auch wohl nöthig sein, daß er sich den Rath eines Unpartheiischen darüber einholt. Leider ist er jetzt an das Zimmer gefesselt, gleich in den ersten Tagen hier bekam er einen dicken Backen u. daraus entstand ein sehr böses Zahngeschwür, das diese
[page 3 (sheet 2, right-hand side):]
Nacht endlich aufgegangen ist. Gestern lag er den ganzen Tag zu Bette. Auch ich war sehr erkältet in dieser Woche, erst bösen Schnupfen u. dann einen Husten, der mich schrecklich quälte, heute geht es aber auch besser damit. Das Wetter ist fortwährend gar zu schlecht bei uns, immer trübe u. kalt, selten ein warmer Tag. Diesen Morgen ließ mir Madame Hartung sagen, daß Buflebs am 15ten September abgereist wären, ich habe den Tag sehr viel an sie u. Euch gedacht, nachdem erhielt ich aber Deinen Brief vom 29ten August u. nach diesen musste ich glauben, daß sie erst den 1ten Oktober reisen würden. Hoffentlich haben sie eine glückliche Ueberfahrt, bei uns sind wenigstens noch keine Herbststürme gewesen. Die arme Tante wird mit schwerem Herzen von Euch geschieden sein u. auch für Euch wird die Trennung wohl nicht leicht gewesen sein. Wir freuen uns sehr auf ihre Rückkehr, Ida hat ist hoch aufgesprungen wie sie es hörte, daß sie schon den 3ten Oktober kommen würden. August ist noch nicht hier, Wilhelm kam direckt von Wien, u. nicht, wie wir glaubten über Berlin, wo ihn August längst erwartete. Ich schrieb es letztern gleich daß er auch hierher kommen möchte, erhielt aber zu Antwort, daß er erst noch eine nothwendige Arbeit beendigen müsse, ich weiß nun noch nicht, wann er kommen wird. Der gute Vater ist sehr befriedigt über sein Instrument von Hamburg zurückgekommen, es ist noch über seine Erwartung gut ausgeführt. Im Oktober wird er hierher kommen. Das chinesische Räthsel ist nun auch gelöst, in Hamburg hatte der Vater davon gesprochen u. es war ihm von Otto Struwe's, die er
[page 4 (sheet 1, left-hand side):]
dort traf, u. die auch ein solches besitzen, gesagt worden, daß der Knoten an den 4 Knöpfchen in dem Erker zu lösen sei. Als er zurückgekommen war sein erstes Thuen, daß er das Räthsel nahm u. nach kurzer Zeit brachte er mir thriumphirend den losen Ring. Jetzt finden wir es leicht u. begreifen nicht, daß wir es nicht früher finden konnten. Wir freuen uns, daß Ihr ein so munteres Leben in Euerem Hause führt u. ich bewundere Dich wirklich, liebe Maria, daß Du so große Gesellschaften so schnell ins Werk setzest, u. dabei auch noch Zeit hast selbst mit Komödie zu spielen. Ich freue mich sehr auf das, was mir die Tante von Euch und Euerem Hause erzählen wird am meisten aber auf das, was sie mir von der lieben Lilian erzählen wird. Ich freue mich jetzt schon recht sehr auf Euer Kommen im nächsten Jahre. Daß Deine liebe Schwiegermutter krank gewesen bedauere ich sehr u. wünsche herzlich, daß sie sich wieder ganz erholt hat. Daß Deine Betty wieder von Dir weggeht war mir nicht angenehm zu hören, es ist doch recht schlimm, daß Du immer mit den Leuten wechseln musst. Wenn nur die kleine Deutsche treu bleibt, so will ich recht froh sein. Von Emma habe ich gute Nachricht, sie hofft nun sehnlichst auf ihre Niederkunft u. ich wünsche auch recht sehr, daß ich bald darüber beruh-igt werde, ich muß jetzt immer mit Sorge an sie denken, möge Gott ihr glücklich darüber weg helfen. Der Amerikaner den Du uns empfiehlst ist schon hier gewesen, während ich in Rußland war, es thut mir sehr leid, daß ich ihn nicht gesehen habe. Grüße Deinen lieben Mann recht herzlich von mir, auch seine Eltern u. Geschwister u. Stoddards u. Lilian küsse innig in meinem Namen. Der l. Vater u. Wilhelm grüßen Euch herzlich. Gott behüte Euch! Mit herzlicher Liebe Deine Mutter.
[page 1, top margin, written upside-down:]
Jetzt kommt bei uns der Sommer, seit gestern haben wir einen wundervollen klaren Himmel u. haben bis in die Nacht im Garten gesessen. Erst heute, d. 24ten habe ich von Fritz Henneb., nachdem ich 3 mal zu ihm geschickt, erfahren, daß er das Manuskript erhalten habe, aber erst kürzlich.
Letter metadata