Sammlung: Raster Family Letters

Verfasser: Hermann Raster

Empfänger: Sophie Raster

Bezeichnung: Brief von Hermann Raster an seine Schwester, Sophie Raster, 29. Oktober 1871.

Hermann Raster an Sophie Raster, 29. Oktober 1871

Original text

Chicago, 29. Oktober 1871

Meine liebe Schwester

Du müßt doch schrecklich viel in Zerbst zu thun haben, daß Du so selten Zeit findest, an uns zu schreiben. Wenn ich mich recht erinnere, haben wir erst zwei Briefe von Dir gehabt, - zwar sehr schöne, sehr ausführliche Briefe, die uns wegen des Vielen, nur in den Zeilen und des noch Mehr, was zwischen den Zeilen stand, sehr willkommen waren, aber doch an Zahl etwas zu wenig. Auch Mathilde schreibt unterm 5. d. M.1, daß sie seit Deinem letzten Brief in Dessau keine weitere Mittheilung von Dir er- halten hat.

Nun, die Nachricht von der Einäscherung Chicagos wird Dich wohl etwas schreiblustiger gemacht haben und wir erwarten schon in dieser Woche einen Brief von Dir. Mathilde hat Dir hoffentlich alles mitgetheilt, was wir ihr seit der

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großen Katastrophe geschrieben haben. Eine Schilderung unserer vernichteten Heimstätte geht heute an sie ab. - Die beiden Wechsel für Dich (3100rt) und den Schwager (2500 rt.) wirst Du erhalten haben.2 Wenn nicht, schreibe mir sogleich, damit ich die Secundas schicken kann. Zeit ist noch nicht verloren, da ja die nächsten Zeichen noch nicht fällig waren; - den Zinswechsel vom Schwager, der am 1. November fällig war u. für welchen ich 121 Thaler kurz vor dem Brand geschickt habe, habe ich noch nicht erhalten.

Nun möchte ich Dir nur rathen, daß Du bei Anlage Deines Geldes hauptsächlich darauf siehst es jederzeit verfügbar zu halten, so daß Du es bald wieder locker machen und hier zu hohem Zins anlegen kannst. Wir werden hier zum Wiederaufbau viel Kapital brauchen und es auch größtentheils aus Europa heranziehen, vielleicht sogar durch Hypothekenbanken zu 8

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Prozent. Wenn ich im Frühjahr, sei es auf unserem alten Platze, oder (falls ich diesen zu 200 Doll. pro Fuß verkaufen kann, - nicht billiger) auf einem andern wieder baue, werde ich leicht 2500 bis 3000 Doll. zu 9 Prozent gebrauchen. Dem Schwager, der vielleicht jetzt vor Amerika Furcht hat, weil er keine Idee von der ungeheuren Thatkraft haben kann, welche hier unser Leben aus Ruinen erblühen läßt, würde ich jetzt nicht wieder den Vorschlag machen, sein Geld hier anzulegen; Dir eher denn Du wenigstens wirst überzeugt sein, daß zu der Sicherheit, die ich Dir bieten würde, das letzte Hemd auf meinem Leib gehört.

Indessen, vor der Hand kann ich das Geld gar nicht gebrauchen, da ich noch nicht weiß, ob und wann ich wieder bauen werde. - Hast Du Vertrauen

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auf das Wiedererstehen von Chicago, so halte Dein Kapital, wenn auch zu niedrigerem Preise, locker; verzehre zur Noth 100 oder 200 Thaler davon und lege später den Rest wieder hier an. Hast Du solches Vertrauen nicht, so sprich mit Rieß und suche Dir drüben Eine gute und sichere Kapitalanlage aus. Solche furchtbaren Katastrophen, wie die, welche Chicago vernichtet hat, kommen alle zweitausend Jahre nun einmal vor und keine menschliche Seele hat sie jemals in Berechnung ziehen können.

In meinem "safe" [insertion:] Geldspinde [/insertion] auf dem Steueramt sind mir 2 Hundertdollarscheine verkohlt; dagegen ist in dem alten safe, der bei meinem Kassirer Battershall stand, Alles erhalten. Als Andenken an das gräßlichste Ereigniß des 19. Jahrhunderts lege ich Dir zwei vier [?] scheine [/?] ein, welche in diesem safe die Feuersbrunst glücklich überstanden haben. Hebe S sie Dir auf, denn noch lange nachdem wir todt sind, wird die Welt von diesem ungeheuern Brande sprechen. Dein

treuer Bruder H Raster

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Von den 4 Jahr Zehncentscheinen behalte einen selbst, ein

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gieb an Mathilde, einen an Marie und einen

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an meine Schwiegermutter

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herzliche Grüße an den Schwager und Marie

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  • 1. "d.M." = "dieses Monat".
  • 2. "rt" = "Reichsthaler".


Note
  1. "d.M." = "dieses Monat".
  2. "rt" = "Reichsthaler".