Sammlung: Hess/Hassel Family Letters

Verfasser: Emilie Hassel

Empfänger: Friedrich Wilhelm Hess

Bezeichnung: Brief von Emilie Hassel an ihren Bruder, Friedrich Wilhelm Hess, 27. August 1872.

Emilie Hassel an Friedrich Wilhelm Hess, 27. August 1872

Original text

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Ehrenbreitstein den 27 August 1872

Mein lieber Wilhelm!

An des Rheines kühlem Strande, so können
auch wir jetzt singen, da wir uns seit guten
acht Tagen hier bei Fritzens befinden,
und überhaupt in der letzten Zeit und
in den letzten Wochen eine Abwechselung
und Veränderung in unser so gewohntes
Stillleben eingetreten ist. Doch bevor ich
Dir von unserm Thun und Treiben berichte,
drängt es mich doch zunächst, Dir recht
innigen Dank zu sagen für Deine beiden
lieben, herzlichen Briefe, so wie für die Uebersendung
der Zeitungen, es hat uns unendliche
Freude gemacht, so gute Nachrichten von
Dir zu erhalten, und wenn unsre Bilder Deinen
Beifall haben und Dich in Deinem
jetzt nun geschmückten Zimmer heimatlich
begrüßen, so ist unser Zweck vollständig erreicht

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und wir sind sehr zufrieden zu Deiner Erheiterung
und Freude beigetragen zu haben. Hoffentlich
gefallen Dir auch einliegende Bilder und ich
füge zu denselben noch hinzu, daß klein Fritzchen,
der Stammhalter, gar nicht gut getroffen
ist, er ist ein hübscher Junge, war aber längere
Zeit recht krank, und sieht daher angegriffen
und elend aus, obgleich es ihm augenblicklich
wieder besser geht, ganz frisch scheint er mir
aber noch immer nicht wieder zu sein. Theodor
Nro 2, ist der Dritte genannt, voller Leben und
Laune, stets zu Scherzen aufgelegt, ist gut
getroffen, ebenso Fritz und Else. Seit dem
5ten Juni ist die Familie noch um ein liebes
Mitglied reicher, die erste Enkelin ist angekommen,
worüber wir alle sehr erfreut, nun gibt
es außer mir doch wieder ein Fräulein Hassel,
die kleine Magdalena ist ein feines, niedliches
Kind und sieht ihrer Mama sehr ähnlich. Die
Kleine erblickte noch in Trier das Licht der

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Welt, und seit Ende Juli, wo die Wohnung
erst fertig war, sind sie hier nach Ehrenbreitstein
übersiedelt. Die Wohnung ist sehr hübsch
und neu, die Räume luftig und die Lage sehr
schön. Wenn man auf der Terrasse sitzt, so sieht
man fortwährend den schönen Rheindampfer,
ebenso fährt die Eisenbahn unmittelbar
hier vorüber, es ist ein fortwährender Verkehr,
was uns Kleinstädtern eine angenehme
Abwechselung ist. Wir haben auch schon
verschiedene Parthiren von hier aus gemacht,
die Natur ist mein ganzes Entzücken, da
kann man wirklich Gottes Allmacht nicht
genug bewundern und preisen, wie sind
doch die Menschen bevorzugt, die immer in
solch schöner Gegend wohnen, ich könnte sie
wirklich darum beneiden. Fritz hat nur fortwährend
sehr viel zu thun, er kommt selten dazu
größere Touren machen zu können, dienstlich
gefällt es ihm hier sonst sehr, er sagt, er könne

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hier wieder viel lernen, es sei wieder ein ganz
anderes Feld von Thätigkeit. Ehe wir hierher
reisten hatten wir die Freude Paula auf 3
Wochen bei uns zu sehen, sie sah sehr gut aus,
kam ganz frisch Freitags Abends an und hatte
leider das Unglück schon Sonntag Abend von
der Treppe zu fallen, so dass ihre eine Seite
ganz geschunden und schwarz und blau war.
Bei allem Unglück noch Glück, daß sie nicht ein
Glied gebrochen. Sie hat zwar auch die ganze Zeit
auf dem Sopha liegen müssen, war aber
sonst ganz vergnügt. Ihr Mann, der eine größere
Reise gemacht, nach Dresden, Prag, J Wien,
München, Heidelberg, Frankfurt, Koblenz, Köln
u.s.w. kam dann nach Hamm, sie bei uns abholen,
er war sehr frisch und hat uns höchst interessant
erzählt. Nun sind Beide wieder in ihrem
eigenen Daheim zurückgekehrt, und da hat
die gewohnte Arbeit und Thätigkeit mit neuer
Kraft begonnen. Bertha ist viel leidend, was

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2)

in ihrer Häuslichkeit doppelt schlimm ist, da
sie viel leisten muß, um nach allen Richtungen
hin zu genügen. Die beiden kleinsten
Kinder hatten die Masern, sind aber wieder
hergestellt. Unsere gute alte Mama, lebt
hier im Kreise ihrer Kinder und Enkel wieder
mehr auf, die Liebe und Fürsorge erheitert
ihren Lebens-Abend, und wenn die
muntern Jungens ihr zu unruhig werden,
dann zieht sie sich in ihr Zimmer zurück.
Wie lange wir noch hier bleiben ist noch
nicht bestimmt, wie es mit Mutters Gesundheit
wird, und wenn es nicht bald
zu herbstlich wird, auf jeden Fall, lieber
Wilhelm, erwarten wir Dein [insertion:] en [/insertion] nächsten
Brief wieder in Hamm, und ich hoffe
und denke, daß Du nicht Gleiches mit Gleichem
vergiltst, sondern recht bald von Dir
hören läßt, ich wiederhole Dir nochmals,
es ist uns jedesmal eine rechte Freude,

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wenn wir von Dir Nachrichten erhalten.
Gewiß wirst Du es meinem Schreiben
anmerken, daß ich oft bei demselben gestört
bin, die Kinder fragen und stören
mich unaufhörlich, haben oft so drollige
Einfälle daß ich ganz abgeleitet werde.
Alle, Alle hier groß und klein senden
dem fernen Onkel viele, viele herzliche
Grüße, und wünschen und hoffen sehr
daß der Privat-Generalstab auch freundliche
Aufnahme bei ihm finden möge.
Leb wohl, mein guter Bruder, Gott
geleite Dich auch ferner und gedenke
oft und gern
Deiner treuen Schwester
Emilie.