Sammlung: Hess/Hassel Family Letters

Verfasser: Emilie Hassel

Empfänger: Friedrich Wilhelm Hess

Bezeichnung: Brief von Emilie Hassel an ihren Bruder, Friedrich Wilhelm Hess, 19. März 1872.

Emilie Hassel an Friedrich Wilhelm Hess, 19. März 1872

Original text

Hamm den 19ten März 1872.

Mein lieber Wilhelm!

Endlich, so höre ich Dich im Geiste sagen, ergreift Emilie die Feder, um ihrem fernen Bruder ein Dankes und Liebeswort zu senden. Fast scheint es so, als ob Du Recht hättest, lieber Wilhelm, aber ich hoffte noch immer Deinem Wunsche gemäß, Dir einige Photographien senden zu können, die aber auch heute noch nicht alle fertig sind, und dann vereint später so bald als möglich folgen sollen. Die Eine Photographie unsers verklärten Vaters füge ich für Dich bei, es wird Dir doch die Liebste sein, Du sollst aber in größerm Format auch die Bilder von Vater und Mutter bekommen, hoffentlich machen sie Dir Freude, wenn auch wehmüthiger Art. Doch vor allen Dingen muß ich Dir unsern Dank aussprechen für Deine eigene Photographie, wodurch Du uns mehr wie erfreut hast, das war sehr lieb und gut von Dir, sie zu senden, und ich kann Dir nur sagen, daß Du es in dieser Beziehung vollständig getroffen hast.-

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Tausend tausend Grüße von der Mutter.-

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Für die mehr wie gütigen Uebersendung des Wech= sels im Betrage zu 18 Tsn, sage ich Dir im Namen der Mutter ihren innigsten, aufrichtigsten Dank, das hat sie wahrhaft gerührt, mein guter Bruder, und ich [insertion:]kann[/insertion] Dich in Wahrheit versichern, hättest Du die Mutter selbst sehen können, die sie beim Erblicken Deines Bildes und des Wechsels empfand und äu= ßerte, Du hättest Lohn genug für Deine kindliche Liebe – doch Du hast für Alles gesorgt, hast nichts vergessen, mit dem Ernst des Lebens auch den Scherz gepaart, Deine Geistes Producte haben uns köstlich amüsiert und unsere Lachmuskeln nicht wenig in Thätigkeit versetzt. Das scheint ja bei Euch in der Frühlingszeit recht vergnügt herzugehen, so ist diese närrische Zeit doch allenthalben in der Welt vertreten. Auch das hübsche Gedicht hat mich vor allem so sehr angesprochen, da sich im Grundton desselben ein so tiefes, reiches Gemüth ausspricht. – Gestern hatte ich von Bertha einen Brief, sie dankt Dir auch herzlich Dein liebes Bild und läßt Dich im Verein mit Westarp recht freundlich grüßen, sehr gern werden sie Dir ihre und ihrer

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Kinder Bilder senden, und meinem Vorschlage ge= mäß sie sämmtlich zu uns senden, und wenn sie dann alle zusammen, soll es meine größte Freude sein, sie Dir so rasch wie möglich zu besorgen. – Von Fritz und Paula erwarte ich ich in den nächsten Tagen Nachrichten, es dauerte mir aber zu lange, und ich wollte nicht noch länger mit meiner Antwort zögern. Leider geht es mit Mutters Befinden gar nicht gut, und macht uns Allen das zusehende Ab= nehmen der Kräfte oft große Sorgen, das Alter ist da, und trotz der besten Pflege, wo ihr auswärtigen Geschwister ja alle so gern und gütig beitragt, ist die Schwäche und Hinfälligkeit oft mehr wie groß. Eine aus= gesprochene Krankheit ist es nicht und ich hoffe noch immer daß der Sommer, die bessere Jahres= zeit für sie, auch die Kräfte und die hinsiechen= de Lebenskraft wieder heben und erfrischen soll. Möchte doch der gütige Gott geben, lieber Wilhelm, daß uns unsere theure Mutter noch recht

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lange erhalten bliebe, ich bin selbst oft muthlos und muß all meine geistige Kraft zusammen= nehmen um stark und heiter zu scheinen, wäh= rend ich oft lieber weinen, wie lachen möchte. Zu Münster bei Tante Lotta war ich vor 14 Tagen auch mal wieder auf einige Stunden, da ich länger Mutter nicht verlassen kann. Tante Lotta steht jetzt auch ganz allein, Onkel Michaelis starb noch 6 Wochen vor Vater und ließ Tante mit Othilie zurück, kurz nach Weihnachten ist nun Othilie auch heimgegangen an einer zehren= den Krankheit, für sie selbst ein rechtes Glück, für Tante aber hart, da sie nun in ihren alten Tagen ohne Stütze und Pflege ist. Sie lebt von ihrer Wittwen-Pension, da sie auch kein Vermögen besitzt, klagt nach wie vor, hat sich aber im Ganzen merkwür= dig konserviert und gehalten, und könnte sich für Mutters älteste Tochter kühn ausgeben. Tante Sophie ist kurz nach Paulas Hochzeit gestorben, auch an Entkräftung, sie hat ihr kleines Kapital an Tante Lara vermacht, und nach deren

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2/ Tode ist es auf Onkel Buhlmann gefallen, so war es im Testament Bestimmung. Einige kleine Legate abgerechnet, erhielten sämtliche Leinen und Sachen Paula, als ihr Pathekind, und die sonstige kleine Garderobe Mutter. Man ist und war hier sehr erstaunt, daß die gute Tante nicht wenigstens angeordnet, daß nach Onkels B. Tode das kleine Kapital auf mich fallen sollte, doch das ist nicht geschehen, und muß dann wohl so gut sein.

Tante Lara starb in Elberfeld vor 4 Jahren, wir sind noch verschiedenemale dort bei ihr zum Besuch gewesen, und sie war stets sehr freundlich und liebevoll mit uns. Onkel lebt noch in Elberfeld und geigt und musiziert dort weiter, er giebt noch immer Stunden, und sein Hauswesen besorgt eine ganz vorzügliche Haushälterin, so daß es ihm in keiner Weise fehlt. – Im Jahre 1869 waren Mutter und ich auch noch einmal in Schneidlingen bei Tante Julie, die damals

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noch einzig lebende Schwester von Vater. Sie war dort an den Dieter Weber verheirathet und ist leider auch vor einem Jahr ganz plötz= lich an einer Lungen-Entzündung gestorben. Tante Julie war sehr für mich und versprach mir auch an meine Zukunft zu denken, doch in dem Falle, wenn sie den Onkel überleben sollte, da sie ein Testament gemacht, und ge= genseitig Alles auf den längstlebenden Theil fallen solle. Da sie nun so plötzlich gestorben, ist natürlich dem Onkel Alles zugefallen, der auch sehr viele Verwandte, auch Schwestern hat, die hilfsbedürftig sind und es mehr wie gut gebrauchen können. Außerdem hat Anna Kuekle die rechte Nichte von Tante Julie, wohl dann die nächsten Ansprüche. Anna ist auch verheirathet und hat wieder 3 Töchter, sehr nette Kinder, die mit uns zu gleicher Zeit in Schneid= lingen zum Besuch waren. – Es ist aber theils merkwürdig, theils wunderbar wie wenig die Familie Hassel zu Erbschaften neigt, es wird uns

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klar gemacht, daß wir die eigene Kraft und unsere eigenen Fähigkeiten anwenden sol= len, um selbstständig zu werden, in der Arbeit liegt ja auch ein Genuß, wenig= stens mir macht es Freude, wenn ich recht tüchtig am schaffen und wirtschaften bin! Sehr gern würde ich schon Deinen Wunsch erfüllt haben, ein solides Haus Dir mitzutheilen, welches Haare direct nach A exportirt, einestheils bin ich aber ganz fremd und unbekannt in der kaufmännischen Welt, anderntheils er= kundigte ich mich in Münster darnach, da sind aber keine so großartigen Geschäfte die so weit übersenden. Ich will es aber in Gedanken behalten, es wäre möglich daß ich in Bremen vielleicht eine Quelle entdecken könnte und dann theile ich es Dir sofort mit, ich vergesse oder versäume es nicht. – Von Deinen früheren Bekannten hier, ist wohl Wilhelm Lategaße der einzige noch, der hier in der Nähe geblie=

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ben ist. Er ist Kreis-Gerichtsrath zu Mühlheim und soll es ihm dort gut gehen. Er ist noch un= verheirathet, und besucht hier zuweilen seine Mutter, sein Vater ist auch todt. Von den frühern Lehrern hier am Gymnasium ist wohl der Professor Rempel noch derjenige der Dir bekannt sein dürfte. Er ist aber auch hinfällig geworden, bereits 70 Jahre alt, da nimmt auch die geistige Fähigkeit ab. Er hat großes Interesse für Fritz, mit dem er den letzten Sommer in Bertrich einem kleinen Badeorte an der Mosel zusammentraf. Er hat ihm sogar zu Neujahr einen Glückwunsch gesandt. Fritz litt nämlich nach dem Feldzuge sehr an Rheumatismus und mußte deshalb diese Cour gebrauchen. – Nun hoffe ich, mein guter, alter Bruder, werde ich Dir genug vorgeplaudert haben, bald Fortsetzung mit den Photographien. Nimm nochmals tausend Dank für Deine Güte, laß bald von Dir hören, wir sind ja gern mit einem kurzen Briefe zufrieden, und behalte lieb Deine alte Emmy. -