Sammlung: Eugen Klee Papers (HSP)

Verfasser: Amalia ("Malchen") Klee (Haas)

Empfänger: Eugen Klee

Bezeichnung: Brief von Amalia Haas an Eugen Klee, 1. Januar 1895. Amalia Haas war die Schwester von Eugen Klee und die Frau von Heinrich Haas.

Amalia Haas an Eugen Klee, 1. Januar 1895

Original text

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Schmittweiler 1. Januar 1895

Lieber Eugen!

Deinen Brief vom 13. Dez. haben wir am 24. und
Dein Andenken am 29. Dez. erhalten. Wir danken
Dir für Deinen Weihnachts- u. Neujahrsgruß und
Dein Andenken von Einhundert Mark, und
wünschen Dir viel Glück zum neuen Jahr!
Das Andenken wird für Eugen bei einer Sparkasse
verzinslich angelegt, worüber Malchen u.
Heinrich Dir das Nähere berichten werden.
Wir danken Dir auch noch für die erfreuliche
Nachrichten Deiner weitern glückliche[n] Erfolgen,
die Du uns mitgeteilt hast. Lieber Eugen!
Alle Er[r]ungenschaften bis jetzt sind gewiß
lobenswert, aber die Feier Deines Geburtstages
überwiegt doch alles zusammen. Sie wurde nicht durch
Gehorsam veranstaltet, wie dies so oft geschieht,
sondern als Beweis der Liebe u. ungezwungener
Achtung--dies ist das Höchste was Du er[r]ingen
kannst. Wie freut es mich, daß ich noch die Früchte
meiner Ermahnungen erlebt habe. Die Ermahnungen
von Herrn Pfarrer Stepp: Ihr könnt

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euren Eltern durch gutes Betragen noch über
den Tod hinaus beehren", hast Du befolgt,
worüber ich Dir von Herzen danke. So wie die
Pflanzen nicht in jedem Boden gedeihen, so
hättest Du hier diese große Fortschritten
nicht machen können. Du hattest hier in
der nehmlichen Achtung gestanden u. Deine
Conzerte wurden überall bewundert, aber
diejenigen, die sich zurückgesetzt fühlten, hätten
Dich durch Neid, Rache u. Habsucht vernichten können.
Es mag auch bei Dir so sein, aber Deine Gegener
haben keine Gewalt u. Deine Freunde sind
ihrer zu viele. Das Glück kommt Dir überall
entgegen - ergreife es u. verwerte es nach
bester Art u. Weise. Nach all Deinen
Erungenschaften wäre es sehr anmaßend von mir
Dir noch weitere Ermahnungen zu geben, indem
Du durch das Studium so vieler lehrlreicher
Werke alles Nötige gelernt hast. Doch manche
Erfahrungen wirst Du noch durch zu machen
haben- es verlangt stets Vorsicht um nicht
durch Schaden klug zu werden: Napoleon
hatte mehr als dreißig Schlachten gewonnen

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und als er die letzte verlor, war er ganz
vernichtet-und Solon sagte zu Crösus:
"Vor dem Ende soll niemand sich glücklich preisen."
Das Schicksal ist wechselvoll und deshalb
unterlasse alles Verhängnisvolle. Über
Glaubenssache u. Politik spreche mit Niemand
und wenn es nicht zu vermeiden ist, so überlasse
jedem zu glauben was er will und wie er die
Menschheit beglücken will. Durch die Geschichte
ist es Dir hinlänglich bekannt was die
Menschheit durch sie schon zu erdulden u. zu leiden hatte.
Dein Element ist die Musik u. soll es auch bleiben.
Durch sie werden alle Partheien zu einem
Bruderbunde vereinigt. Ich schicke Dir heute die
Composition von Lobe No. 50, als Drucksache.
Das Werk von Merkel habe ich noch nicht
es ist vergriffen und eine neue Auflage
deshalb nötig; sobald ich's habe, schicke ich's Dir.
DaDir das Componieren Spaß macht, so will
ich Dir einige Winke geben - so wie ich's gewöhnlich
mache. Ich habe ganze Bogen voll Melodien
von 8, 12 und 16 Takten aufgeschrieben, die
mit zufällig in den Sinn kamen über
der Arbeit und während des Spazierengehens,

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und habe alsdann die geeignetsten
zusammen gesetzt - auch zwischen diese
Melodien so eine Art Übergangsmelodien
mit einigen fremden Akorten [Akkorden]
eingeschoben. Auch läßt sich etwas
Schönes bilden, wenn man den 7. u. 8. Takt
oder 13.14.15. +16. Takt in femde Tonarten
zu bringen weiß. Es läßt sich dies im
9.10.11+12. Takt auch anbringen (:zwei
Ton höher oder 2 Ton tiefer:) und gibt dem
Ganzen ein auffallendes Wesen. Bei
Übergängen in Pottpourien ist es lohnend
fremde Tonarten anzubringen. Beim
Anfang größerer Musikstücke halte
ich für ratsam recht kräftige Akorten
zu gebrauchen, im Verlauf dann sanftere
und gegen den Schluß jedesmal
minder recht kräftige Akorte. Auf
diese Weise ist es möglich die schönsten
Sachen fertig zu bringen. Bei
Orchesterwerke ist zu beachten, was man mit
den einzeln Instrumenten vermag zu
leisten - in den Partituren ist dies zu finden.

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Zu schweren Sachen finden keinen Beifall
weder bei Musik noch Gesang. Die
große Meister schreiben zuweilen
ganz leichte Sachen, aber die fremde
Akorten, die sie wissen anzubringen,
bringt dem ganzen die Bewunderung.
Welch bedeutendes Geschäft hatte Milöcker1
mit seiner Operette gemacht:
"Anna zu dir ist mein liebster Gang",
und wie leicht und gefällig ist diese
Melodie. Die Straußischen Walzer
waren so berühmt durch ihre Einfachheit
und leicht zum Tanz. Jetzt erscheinen
sie in größter Kunst, aber
zum Tanz nicht mehr so beliebt.
Lieber Eugen! Wenn Du hier in etwas
machen willst, so mache es so leicht als
möglich - später kannst Du auch schwehre
Sachen machen. Beim Gesang ist es
eben so, was zu schwer ist, oder zu hoch
geht, findet keinen Beifall und keinen
Kaufer, das wirst Du ja schon gefunden
haben.

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Schubert gebrauchte in seinen Lieder
die nehmliche Melodie in verschiedenen
Tonarten - wie großartig nimmt
sich dies aus. Es ist alles erlaubt,
wenn man nur Beifall damit erzielt.
Gerade durch diese Machart ist sein
"Wanderer" so beliebt und die Sänger
ernten großen Beifall. So berühmt
die Schubertsche Lieder sind, so wünscht
doch doch mancher Sänger eine leichtere
Begleitung. Durch die schwehre
Begleitung werden viele Lieder
gar nicht gesungen. Die großen
Meister kümmert dies aber nicht,
ihr Ruhm geht ihnen über alles.
Lieber Eugen! Meine geschriebenen
Sachen kannst Du auf diese Art zu
ganz schöner Musik herrichten, wenn
Du fremdartige Melodien dabei
verwenden willst und das Ganze
ist alsdann ganz leicht zu spielen und
findet überall Beifall. Doch rate

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ich Dir noch einige Zeit damit zu warten,
damit Du Dich nicht zu arg anstrengst und
die Gesundheit doch über alles geht.
Ein neues Jahr haben wir nun wieder angefangen
- was wird es Gutes bringen?
Wir wollen das Beste hoffen und unsere
Schuldigkeit thun um es glücklich zu erleben.
Unsere Verwandten werden sich gewiß
mit Dir freuen, da durch Deine Beehrungen
auch sie beehrt sind. Halte innige Freundschaft
mit Ihnen, so seid ihr ja auch wie
zu hause und das Getrenntsein mit uns
läßt sich leichter ertragen - bis wir wieder
zusammen kommen.
Lieber Eugen! Alle Ermahnungen, die ich Dir
bis jetzt geschrieben habe, sind nicht in dem
Sinne geschehen, als wenn ich denken würde, Du
wüßtet dies alles nicht - nein, in dieser Meinung
ist dies nicht geschehen, sondern es sollen nur
Ermahnungen sein über das was wir früher oft
miteinander besprochen haben und was Du mir
oft aus Deinen lehrreichen Werken mitgeteilt
hast. Diese Werke bleiben ewig neu, weil sie ewige

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Wahrheiten enthalten und wenn man sie öfters
lest, und sie bleiben [insertion:] sie [/insertion] in Erinnerung; so hat
man immer wieder eine Belehrung zu allem
Guten. Wenn Du diese Werke haben willst,
so schicke ich sie Dir, außerdem bekommt
sie der liebe Eugen, damit er sich auch durch
sie eine Bildung verschaft, die Deiner gleich
kommt. Ich habe ja diese Werke nicht studiert,
aber das Wenige was ich gelesen habe, genügte
mir Dir jederzeit auf die rechte Bahn zu verhelfen.
Ich finde jetzt das größte Vergnügen
diese Werke zu lesen - Deine Briefe zu lesen - -
Deine P[h]otographien anzusehen und so bin
ich gleichsam bei Dir - und das Bewußtsein,
daß es Dir so gut geht, macht mich ganz glücklich -
Du befindest Dich ja im gelobten Lande.
Lieber Eugen! Die besten Glückwünsche fürs neue
Jahr senden wir Dir u. unseren lieben Verwandten.
Du aber bist von uns herzlich gegrüßt u. geküßt.
Von Malchen, Heinrich, Eugen u. Vater Klee.2
Lieber Bruder Eugen! Herzlichen Glückwunsch zum neuen Jahr!
Nächstens erhälst Du von Heinrich und mir Briefe. Mit
Herzensgruß u. Kuß
Deine treue Schw.
Malchen.

Die herzlichsten Grüße und Glückwünsche sendet ebenfalls Dein Dich liebender Schwager H. Haas 

 


Notes
  1. https://en.wikipedia.org/wiki/Carl_Millöcker.
  2. Klee written separately, likely by the father.