Sammlung: Eugen Klee Papers (HSP)

Verfasser: Amalia ("Malchen") Klee (Haas)

Empfänger: Eugen Klee

Bezeichnung: Brief der Familie Klee, 10. Juni 1896.

Brief der Familie Klee, 10. Juni 1896

Original text

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Schmittweiler, den 10. Juni 1896

Mein geliebter Bruder Eugen!

Deinen letzten traurigen Brief, sowie Deine Vollmacht haben wir erhalten. Deines Briefes wegen, will ich Dir alles mitteilen, was nur eine treue Schwester mitzuteilen vermag von Vater, den wir so lieb hatten. Noch wirst Du Dir Gedanken machen und sinnen - wäre zu helfen nicht die möglichkeit gewesen? - Eugen! Alles, was zu sinnen und zu denken nötig war ist geschähen. Du schriebst mir, Deine Denkkraft höre auf, unsere Denkkraft war nicht minder angestrengt, ja, ich zehrte mich fast auf, so lange Vater darnieder lag. Mein erstes, welches ich anwendete, als sich Vater über Leibschmerzen beklagte war: heiße Dampfbäder

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mit Kamillen und später noch mit Heyblumen. Über diesen Dampf, (der jedoch so sein mußte, wie es Vater haben konnte) setzte sich Vater: Ich kochte Pfefferminzthee, heißes Bier mit Ei, süßen Rahm, Sauermilch, Buttermilch, kochte Zwetschen recht viel, so, daß ich einige Tassen Zwetschenbrüh erhielt kurz, was schnell zu gebote stand wurde angewendet, doch sein Zustand besserte sich nicht. Ich legte das Deckbett ganz vorn bin u. sagte Vater solle sich mit dem Laib an das weiche anlehnen. Vater sah mich dankbar an und sagte dieses tut mir gut. Wenn Vater so einwenig mit dieser Lage geruht hatte, goß ich immer wieder frisches Wasser nach für Dampfbäder, denn ich dachte bei Krämpfen würde dieses gut sein. Ich selbst war beständig um den Vater - Heinrich zu jedem sprunhg bereit. Einen brävern Mann, wie Heinrich in Vaters Krankheit war, gibt es nicht mehr - ich werde auch Heinrich ewig dankbar sein. - So haben wir einen Tag herum gewirtschaftet, aber es wurde nicht besser. Ich muß einen Arzt haben, den ich spüre, daß es noch gar nicht besser ist. So schickte ich morgens 4 Uhr nach Meisenheim u. ließ den besten Arzt holen. [insertion:] (1. Ostertag u. geburtstag Vaters) [/insertion] Nicht unterlassen will ich, eine Beschreibung der Persohn des Doktors zu geben; denn alles, war mir wichtig u. somit auch Dir: die Adresse:

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[second writer writes pages 3 and 4:]
Doktor Andes in Maisenheim. Herr Andes hat alle möglichen Schulen besucht und studierte noch weiter bis zu seinem 30sten Lebensjahre. Erst nachdem er sich in seinem Studium vervollkommnet hatte begann er seine Prakzis [Praxis]. Jetzt ist er ein Mann von ungefähr 50 Jahren, hat dieselbe Krankheit die Vater hatte schon sehr oft behandelt u. vor zwei Jahren hatte sie auch ein Pfarrer in Maisenheim. Andes ist sehr einfach, fast wie ein Bauer (ohne Manschetten u. eine Deckkrawate trug er auf blauem Jägerhemd sogar stetz 2 u. zwar Sonntags. Eine einfache Kappe als Kpfbedeckung [Kopfbedeckung]. Doktor Andes ist Millionär. Keinem macht er Unkosten und sagt, oder deutet an wie es mit dem Patienten steht. Er ist sehr gescheit hat schon Operationen geliefert, die bewunderungswürdig sind.- Dem Boten, den wir zu Andes schickten sagte Vater alles wie es ihm ist. Als der Bote dieses dem Arzte mitgeteilt hatte, fragte der Arzt: hat Herr Klee auch einen Bruch? Dies wußte der Bote nicht.- Nicht lange wärte es, so war der Arzt an Vaters Bett. Der Arzt u. Vater unterhielten sich nun u. Vater gab an er sei verschopft [verstopft]. Wenn sie dieses denken, so wollen wir ein Gristir [Klistier] geben. Der Arzt versuchte dieses Gristir, ((ich hatte einen Hafen voll kochend Wasser gemacht u. trug kaltes und heißes Wasser nebst einigen kleinen und großen Häfen u. Zuber ins Zimmer.)) welches er sich aus diesem Wasser selbst zurecht machte, Vater bei. Doch mehrmals mußte der Arzt den Versuch machen immer ohne Erfolg - da Vater zuviel preßte, jukte. Da nun der Arzt sah, daß es nicht möglich ist, Vater ein Gristir beizubringen, verschrieb er Rizinußöl. Der Arzt fragte nun, wann er das letzte mal gepißt habe ich glaub ich kann gar nicht pissen. So oft Vater probirte zu pissen, es ging nicht. So wollen wir ihm das Wasser ablassen. Herr Andes fuhr mit einem Silberröhrchen durch doch statt Piß (welches hätte sollen kommen) kam etwas Blut u. Eiter. Ei ei sagte der Arzt. Herr Dr. wußte nun, was es war. Doch verordnete er ein leinenes Handtuch in gut lauwarmen Wasser, so wie es Vater haben könne auflegen; u. zwar alle zwei Stunden das Tuch muß Verordneten möglichst frischen Wasser fest ausdrehen u. mehrfach zusammengelegt auf den Leib legen u. ein Wollenes darüber. Wäre es eine Erkältung gewesen, soBlasenkatar (geschwulst der Röhre, so hätte dies wirken müssen bei steter Bett u. Zimmer temeratour, denn Tag und Nacht durfte das Feuer nicht ausgehen, doch durfte auch nicht zu warm sein; so stand die Zimmerthüre etwa 1/4 auf, das Zimmer hausen [draußen bzw. nebenan] wurde gelüftet, so, daß die Luft im Krankenzimmer gesund war. Wie es nun wurde, weißt Du ja durch die Briefe. Das ich Dich lieber Eugen tausendmal herwünschte kannst Du Dir denken. (Das Gristier blieb nicht bei bei Vater, das Rizinußöl wirkte derart, daß 6 mal in zwei Tagen Stuhlgang erfolgte. Auch in den folgenden Tagen ging der Stuhlgang --- Vater konnte sich fast nicht

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rengenieren [regenerieren] u. mang [dazwischen] unangenehmes haben wir durchgemacht.-- Alles ausfürlich kann ich Dir ja nicht schreiben. Alle Wäsche besorgte und reinigte ich selbst; denn ich wollte nicht, daß er von Anderen Menschen beurteilt würde. Fremd ist fremd - eigen ist eigen. Ob wir uns einen bleibenden Schaaden zugezogen haben - ich hoffe nicht. Herr Doktor sagte: dieser Umstand fängt an so dick wie eine Nadelspitze u. wächst wie eine Erbse wie ein 5 Pfennigstück, wie ein Thaler u.s.w. bis es ausbricht, Wodurch es entsteht. Mehrfacher Grund. Erstens ob die Eltern mit Krebs behaftet waren -- vererbung [insertion:] im Blut[/insertion]. Samenansatz weil Vater noch zu rüstig war u. nicht wie andere Alte Leute [insertion:] die abgeschaft sind [/insertion] kein Bedürfniß mehr hatten. Kräftig gelebt keine Kräfte verbraucht. Ja, Vater war zu üpig und sehr kurrant [kurant] noch. Hätten wir ihn noch in seiner Thätigkeit gelassen, so wäre er fielleicht noch gesund, oder die Mutter hätte noch gelebt. Herr Doktor sagte von 100 Männern (alten) sterben 1/3 an dieser Krankheit.------

Lieber Eugen! noch manches werde ich Dir mitteilen von Vater in Briefen. Als Vater gestorben war, ließ ich alles anordnen, wie üblich bei diesen Fällen auch ließ ich wie bei der l. Mutter einen Schnitt in die Pulsader machen (zur Beruhigung wirklichen Todes.) Sein Sarg war ganz mit schwarzem Tuch umzogen - drei aus Tuch verfertigten, fast kranzänlichen Pfuffen mit sehr vielen Loorbeersträuschen bildeten das obere um welches weis gestickt 24 mal "Ruhe sanft" umgeben war. Das innere weiß alles schön gemacht. Inh seinen Händen hielt er ein schönes Blumenbuquet von Frl. Lottchen Schweitzer. Ebenso erhielt er einen großen schönen mit eigenen Händen verfertigten Kranz von Fam. Schweitzer. Einen schönen Immergrün Kranz erhielt er von Familie Quirng Lehrers Callbach.-- Bei der Beerdigung sang der Gesangverein Callbach ein Lied am Hause, zwei Lieder am Grabe. Nach der Einsegnung wurde förmlicher Gottesdienst gehalten - Leidtragende & Theilnehmer gingen in die Kirche, welche ganz angefüllt war. Die Rede haben wir Dir geschickt. Mein Söhnchen tröstete mich mit folgenden Worten: Sei [insertion:] ruhig [/insertion] Mamáchen ich hatte den Großvater auch so lieb u. kann es ich ändern. Denn da kann man ja nichts mehr machen, wenn die Leute gestorben sind. Jeden Samstagabend trägt sein geliebter Enkel ein Strauß Blumen zum lieben Großvater.--

So tröste Dich nun - es werden uns wieder andere Zeiten kommen. Ich war und bin Deine liebe Schwester. Bei der lieben Familie Riet sowohl als auch in Deinem Vereinen (welche Du jetzt nicht vernachläßigen darfst) wirst Du wieder Deinen Geist ermannen. Das beste ist, man hält sich ganz ruhig u. sucht die Gedanken niederzuhalten. Was sich von Vater an geschriebenen xtra vorfindet - erhällst Du nach. Grüße die liebe Mina u. seinen Mann recht herzlich von uns. Ich will nun für heute dis Schreiben schließen, mit dem Wunsche, daß Du Dich nicht mehr zu sehr kümmerst, denn Du mußt ein Mann sein ein Vater auch in dem Trauer nicht verzagen im Glück nicht stolz. Ich gedenke stets Deiner mit herzinniger Liebe und tröste und küsse Dich in Gedenken Dein Malchen.

die herzlichsten Grüße von Heinrich, alles wird er Dir besorgen.