Sammlung: Eugen Klee Papers (HSP)

Verfasser: Amalia ("Malchen") Klee (Haas)

Empfänger: Eugen Klee

Bezeichnung: Brief von Amalia Haas an Eugen Klee, 9. April 1899. Amalia Haas war die Schwester von Eugen Klee und die Ehefrau von Heinrich Haas.

Amalia Haas an Eugen Klee, 9. April 1899

Original text

Callbach, den 9.4.1899.

Mein lieber Bruder Eugen!

Lange hast Du teurer Bruder wohl auf Nachricht gewartet - doch es waren so viele Sachen zu erledigen, daß es mir nicht eher möglich war zur Ruhe zu kommen. In der zweiten Woche wohnen wir jetzt in Call= bach, brächtig [prächtig] ist die Wohnung und Raum genug. Ach. wie wunder= schön ist die Aussicht von allen Zimmern. Von meinem Schlafzimmer sah ich in ein schönes Wiesenthal, das nahe hinten um Hause be= ginnt und dasselbe sich so in die Ferne zieht, daß ich das Ende nicht mehr sehen kann. Vom Wohnzimmer, Heinrichs Schlafzimmer u. Frem= denzimmer erschaut das Auge eine schöne Anhöh mit Weintraubenstöcken bepflanzt ganz genau der Ebernburg ähnlich. Die Zimmer so schön, daß ich mir gar nichts schöneres denken kann. Dir alle Neu= heit der Einrichtung zu beschreiben will ich dahingestellt sein lassen bis Du selbst kommst und davon Einsicht nimmst. Auch sonst bietet Callbach mehr Angenehmes, was z.B. Schmittweiler nicht bietet. In meinem Herzen bleibt darum doch eine Neugung zu Schmittweiler, die, wenn auch nicht äußerlich sich Jedem zeugt, so doch innen unerschütterlich ist. Gut war

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es jedoch für uns, daß wir nicht mehr länger daselbst blieben. Die Gemischte (zwei Confeßionen) Schule mit 6 Klassen ist alleine schon Umstand genug. Hier ist auch das Wasser besser, fast genau wie das Wasser in Otterberg. Ich war in Schmittweiler so ziehm= lich auf mich selbst angewiesen und werde mich daher auch hier zurecht finden. Da ich nach Außen gar keine Ansprüche mache, noch verlange, sondern dem Ziele zustrebe mich immer mehr nach innen zu bilden, und somit ganz meinen Lieben zu Nutz und Gefallen zu leben, so werde ich befriedigt, durch Pflicht und der die holde Liebe mir entgegenstrahlt. Den lieben Vater habe ich in meiner Nähe und kann jeden Tag bei ihm sein; was sein Mund gesprochen zu mir, bleibt in meinem Herzen. In jeder Stadt hat man zum Friedhof oft so weit zu gehen. Es ist dies für mich noch besser; denn durch die neuen Eintrücke hier, unterstützt durch Thätigkeit verwischt sich der Ge= danke an das, was ich verlohren habe. Ich hatte einen schweren Kampf mit mir selbst zu kämpfen, als die Stunde nahte der Entscheidung - wo beerdigen lassen - Otter= berg oder Schmittweiler - doch das Herz entschied für letzte= res. Der Otterberger Friedhof ist schon so voll, daß, als ich an Herbst

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dort war, die Reihe nahe an unserer kleinen Schwester [roman:] Anna [/roman], die wir nicht kannten war, zum Ausgraben. Hätte der Vater noch gelebt bis jetzt, so hätte ihm dies doch leid ge= tan. / Lieber Eugen! In allen Verhältnissen Ruhe u. Geduld. Sich in jedes Schicksal mit Ergebenheit fügen. Liegt ein dicker Stein im Weg, so stoße man sich ja nicht daran, sondern gehe ruhig drum herum. Nichts thut weher, als Undank u. Rücksichtslosigkeit; doch, hat man viel durchgemacht, da wird man doch endlich klug - man stößt sich mit Niemand, da hat man den meisten Profitt. Sehr viel Kummer hatte ich diesen Winter; denn Heinrich war nahe zu 1/4 Jahr krank. Die Schule hielt er immer doch dabei. Ich habe zu keinem Menschen ein Wort davon gesacht u. auch er hielt sich immer etwas wacker, wenn gerade Leute zu uns kamen. Leiden und nicht klagen ist hart. Er hatte es sehr im Magen. Nervosiethät mag mit= gewirkt haben. Nach innen konnte er gar nichts anwen= den - doch Schweizerpillen & auch hie und [insertion:] da [/insertion] Schweizertropfen wirkten gut. Ebe [insertion:] n [/insertion] so warme Tücher überm Magen und ruhig jeden Tag einige Stunden in ein sehr gut gewärmtes Bett.

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Heute fühlt sich Heinrich recht wohlauf, frisch und kurrant und muß schaffen, daß ihm die Schwart kracht. Vor, während u. gleich nach dem Wandern (hierher) hatte er 5 Beerdigungen drei hier; wobei der hiesige Gesangverein am Hause u. Grab gesungen dazu die ver= schiedenen Lieder etwas nachzuüben. 30 Mann zählt Heinrichs Verein, neues Leben im Haus; auch Anregung für H. Da H. beide Dienste in Sch.[Schmittweiler] u. Call.[Callbach] noch diesen Monat versieht, so hatte H. vorige Woche in Schmitt. [Schmittweiler] Prüfung & nächste Woche hier. - Schon vor drei Wochen erhielten wir Nachricht von Leipzig, daß innerhalb 8 Tage Deine Bücher kämen sind aber heute noch nicht da und wird Heinrich deßwegen nochmals hinschreiben. So war es auch mit der früheren Sendung - man meint, sie müßten erst geschrieben u. gedruckt werden. Allein gerade diese Sachen sind nicht leicht zu haben, sie müssen erst auch in allen möglichen Buchhandlungen her= um gramen; habe daher noch etwas Geduld - sobald diesel= ben vorhanden sind - erhälst Du sie. - Lieber Eugen! Bei der weichen Beschaffenheit Deines Gemütes bitte ich Dich, das Sentimentale nicht einwirken zu lassen und fest u. kurarant zu bleiben. Die Raubauze sind zwar auch nicht immer die gesündesten Leute. Die "habugene Knöp" die dürren Zähen leisten am meisten wiederstand gegen alle Verhältnisse & Kulturfortschritte "Freude, schöner Götter= funken" - o! halt sie fest -laß den Funken sprieen [sprühen], denn sie allein nur ist Leben. Innerlich über alles weg setzen, jedem als Muster stehen u. so zu sagen dem Teufel auf den K[insertion:]o[/insertion]pf treten. Da kann sich mit ihm auch zu gleicher Zeit der Arzt aus dem Staube machen und meinetwegen auch die Atfokaten [Advokaten]. Dein lieber Neffe Eugen ist ein lieber Bub wir spielen vierhändig Piano - der liebe Papa geht fast gar nicht fort so liebt er uns. Deine Bücher machen ihm Gedanken weil sie sehr lange auf sich warten lassen.

1000000 Grüße von uns allen u. so ein kleiner Kuß v. D. treuen Schw. Malchen.