Sammlung: Eversmann Family Letters

Verfasser: Marie Eversmann

Empfänger: Lewis Eversmann

Bezeichnung: Brief von Marie Eversmann an Lewis Eversmann, 8. Oktober 1854.

Marie Eversmann an Lewis Eversmann, 8. Oktober 1854

Englischer Text

Original text

Bonn den 8. October 1854.

Mein lieber Bruder Ludwig!

Vor acht Tagen bin ich von einer drei monatlichen Reise hieher zurück gekehrt, während deßen ich mir unzählige male vornahm an Dich zu schreiben, und nicht dazu kam. So überraschte mich dann Dein lieber Brief vom 9. September höchst angenehm vor einigen Tagen, und ich will nicht länger säumen, Dir meinen herzlichen Dank dafür auszusprechen! So wie Du an einem stillen Sonntage mir schriebst, so sitze ich auch heute einsam an meinem Schreibtisch, meine Emma besucht eine kleine Freundinn, Julius und seine Frau, Gustav Frau [?] Schmaffhausen [/?] sind nach Köln gefahren um die [?] Kunstreuter Renz [/?] dort zu bewundern, wozu sie erst morgen früh wieder kommen! Den heutigen Tag haben wir früher immer recht festlich gehalten, es war ja unseres lieben Vaters Geburtstag; meine Gedanken weilen dann besonders gerne in der Vergangenheit. Ich muß recht sehr um Verzeihung bitten daß ich Dir so lange nicht mehr schrieb, und bin Dir doppelt dankbar daß Du mir dennoch schriebst ich fürchtete schon daß Bruder Julius jetzt allein das Glück haben würde Briefe von Dir zu empfangen. Heute wurde in unserer Kirche eine Collekte für das Prediger-Seminar in Martha'ville gehalten, ich wundere mich darüber weil ich mir Martha'ville nur aus wenig Häusern bestehend dachte. Diese Collekte geht durch ganz Preußen, im August war ich in der Priegnitz in einer armen Dorfkirche, im September in Berlin und heute hier, wo dasselbe publiziert wurde. Schreibe mir doch einmal Antwort darüber ob Ihr dort wirkliuch ein hülfebedürftiges Seminar habt? Eine recht schöne Reise habe ich gemacht, auf welcher ich meine Gesundheit wieder etewas gekräftigt habe, denn sie bedurfte es sehr nach dem traurigen Winter und Frühjahr was ich verlebte wo mir das so reich begabte Julchen durch den Tod entrißen wurde! Viel muß ich im Leben Trauriges erfahren bevor ich ans Ziel meiner Laufbahn gelange, Gott hat mich aber sichtlich gestärkt, sonst hätte ich das nicht Alles ertragen können. Nachdem ich abwechselnd einige Nichten bei mir hatte, ist meine Haushaltung gegenwärtig nur klein, Emma habe ich jetzt nur bei mir, welche [insertion:] in [/insertion] einem Jahr gute Pension [5 words crossed out] [insertion] zur Schule geht [/insertion]. In derselben Pensions=Anstalt befindet sich seit ein paar Wochen die vorjüngste Tochter des seel. Bruders Karl, Sophie, es wird jährlich für sie 300 Thl. in der Pension entrichtet! Sie ist ein nettes Mädchen, aber flüchtig und wild, es thut ihr eine strenge Zucht noth. Sie darf ihre Verwandten alle 14 Tage nur einmal besuchen, worüber sie etwas traurig ist. Das letzte Jahr war sie in Wiesbaden in einer Pension, wo kürzluch das Nervenfieber ausbrach und [?] mehre [/?] Opfer nahm. Natalie brachte ich im Mai nach Nachrodt zu Frau Emma Schmidt, die sie sich ausbat und vielleicht für immer behalten wird, da sie schon drei Töchter verheirathet hat und nur noch die Letzte bei ihr ist.

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Gegenwärtig ist sie zum Besuch hier und weiß nicht genug von der Liebe zu erzählen mit welcher sie dort behandelt wird. Julius und seine Frau wollen sie diese Woche zurück begleiten. In Nachrodt herrscht ein unbeschreiblicher Luxus, die Pudlings Hämmer müssen enorm viel einbringen! Weißt Du denn daß Robert Löbbecke - Onkel Ludwigs jüngster Sohn - die jüngste Tochter aus Nachrodt, Emma, geheirathet hat? Er war vor 1 1/2 Jahren nach Iserlohn gereist um Abschied zu nehmen weil er im Begriff war nach Amerika zu reisen, als er Emma sah, sich verliebte und verlobte, und nun als Schwiegersohn die Geschäfte bei den Eisenhämmern übernimmt. Die Neuvermählten waren den ganzen vergangenen Winter nach Spanien auf ihrer Hochzeitsreise, und haben eine große Summe Geldes verbraucht. Der zweite Schwiegersohn von Frau Schmidt ist Assessor Schnitglen in Cöln, und der dritte ein Lieutenant von Bülow in Braunschweig. Unser Alexander hat einen Theil seiner Ferien in Nachrodt zugebracht, der Junge ist dort wie überall wohin erkommt, sehr beliebt, es ist auch ein offener, netter Mensch. Morgen wird er schon 20 Jahre alt. Vor acht Tagen ist er zu seiner Schule, dem Gewerbe=Institut nach Berlin zurück gekehrt. Dort ist er bei meinen vielen Bekannten gerne gesehen, er führt dadurch ein angenehmes Leben. Nun will ich Dir auch Einiges von meiner Reise mittheilen, die ich am 4. Juli antrat in Begleitung von meiner kleinen Emma, die sehr an Skropheln leidet und daher auch in Rehmo die Cur gebrauchen sollte. Das Soolbad Rehmo in Westpfalen, nahe bei Minden ist jetzt seit einigen Jahren sehr besucht. Gustav, Frau Schmaffhausen mit ihrem Sohn, Tante Etta Löbbecke mit Tochter Louise und Enkelin Etta Du Roi waren zu derselben Zeit mit mir da, was höchst angenehm war. Als ich meine Cur mit dem beßten Erfolg beendet hatte, dehnte ich [2 words crossed out] [insertion] dieselbige [/insertion] noch ein wenig zur Nachkur aus, und schickte Emma nach Bonn zurück, wo sie bis zu meiner Rückkehr bei Julius zubrachte. Zuerst war ich 8 Tage in Braunschweig bei Tante Etta, die jetzt nach Onkel Ludwigs Tode sehr still lebt. Ihr Sohn Otto ist in des Vaters Stelle eingetreten, er hat eine Tochter von Frau Emilie v. Mayer - geb. Emilie Denike - geheirathet. Maiers wohnen seit zehn Jahren in Braunschweig, früher in Frankfurt. Viele haben sich in Braunschweig nach Dir erkundigt, und Alle fragen ob Du denn nicht einmal wieder Deine Heimath besuchen würdest? Die fromme Wittwee Bertha von Hünersdorf gibt ihr Töchter an Prediger zu Frauen, und zwar zu den unbedeutendsten Parthien, wo weder Reichthum, Schönheit, Liebenswürdigkeit noch Jugend vorherrschend sind! Alle Verwandten sind mit ihr darüber zerfallen, sie sehen Bertha sehr selten noch! [?] Mariens [/?] Töchter von Marienborn verheirathen sich auch nicht glücklich, die ganze Erziehung in Marienborn ist mangelhaft. Der älteste Sohn, Julius, hat Antheil an der Löbbeckeschen Handlung in Braunschweig, hat sich eine reiche Frau genommen, ist beständig gelangweilt, und soll sehr geizig sein. Der zweite Sohn Viktor, hat sich ein schönes Gut bei Frankfurt an der Oder gekauft, lebt da als ein Sonderling. Die alte Tante Karl Dietrich Löbbecke (Frau Sophie) lebt auch noch immer. Ich weiß nicht ob Dich nach so langer

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Abwesenheit die Menschen noch einigermaßen interessieren, ich denke es mir aber. In Braunschweig ist der schönste Bahnhof in ganz Deutschland, er ist sehr großartig, und liegt dicht neben Onkel Ludwigs Garten. Von da machte ich meinen Besuch auf dem Gute Rosenwinkel in der Priegnitz, zwischen Berlin und Hamburg gelegen, bei der Familie von Freier. Diese Menschen lieben mich so sehr daß sie mich gänzlich verwöhnen. Da Alexanders Ferien gerade anfingen, so war er eine Woche bei mir auf dem Gute, und reiste dann weiter nach Bonn. Ich sah eine sehr segensreiche Ernte einfahren, nur klagte man wieder schrecklich über die Kartoffelkrankheit, und der Preis ist für den Scheffel 1 1/2 Thlr, das Doppelte wie sie früher kosteten. Hier am Rhein ist trotz der guten Erndte wieder große Teuerung, die Lebensmittel sind kaum zu bezahlen, und die armen Leute drohen zu verhungern. In Schlesien ist die Oder nach vielem Regen dermaßen verheerend übergetreten, daß die meisten Leute ruiniert sind, und es wird in ganz Deutschland dafür wohlthätig gesammelt. In Berlin war Anfang September ein großartiges Concert von 12 Regimentschören im Tiergarten, wozu 100,000 Billets verkauft worden sind, und in allen Theatern wurde zum Beßten der armen Schlesier gespielt. Am 10. September verließ ich Rosenwinkel und war beinah drei Wochen in Berlin, wo ich bei alle meinen vielen Bekannten recht viel alte Liebe und Freundschaft fand. Es war mir ein angenehmes Gefühl einmal wieder mich von der Vergangenheit unterhalten zu können, denn meine hiesigen Bekannten wissen von früherer Zeit so gar nichts, und das Interesse ist dann auch nicht so lebhaft für einander. Indeßen moechte ich doch jetzt nicht wieder in das Gewühl der großen Stadt zurückziehen, es gefällt mir ganz gut hier in Bonn. Wenn nur Julius hier wohnen bleiben moechte! Immer ist er noch nicht fest darin, und wohnt in moebliertem Quartier. Er war mit seiner Frau in dem Bade Bertrich, zwischen Koblenz und Trier gelegen, wo es ihnen so gut gefallen hat. Mit Erstaunen haben wir vernommen daß sich die Zahl Deiner Kinder noch immer vermehren wird, es geht wohl jetzt schon aufs zweite Dutzend los?! Bitte lieber Ludwig schicke mir einmal das Verzeichniß Deiner gehabten Kinder mit ihren Geburtstagen dabei angemerkt. Eduard war drei Monate in seinem Dorfe [?] Spastr [/?], wohin auch seine verheiratheten Kinder Nikolai und Eugenie aus Orenburg kamen. Eugenie hat schon wieder ein Soehnchen an der Ruhr verloren, die in Rußland schrecklich grassierte. Die Cholera hat in München sehr gewüthet und der großen Ausstellung bedeutenden Schaden gethan. Nun mein lieber guter Bruder, habe ich Dir recht viel erzählt von der alten Welt, ich hoffe nicht daß es Dich langweilen wird. Grüße herzlich Deine liebe Frau und Kinder von mir, und sei auch Du von uns Allen tausendmal gegrüßt besonders aber umarmt Dich im Geist Deine treue Schwester Marie.

Seit dem Mai wohne ich jetzt Weberstaße N. 14

[Left margin:]

Bruder Julius läßt Dir nebst seinem Gruß sagen daß er einer Antwort auf seinen letzten Brief an Dich entgegen sehe. -

[Envelope]

pr. Cölner geschloßenes Briefpaket.

Lewis Eversmann Esqr. Martha'sville Warren county Mo United States of North America