Sammlung: Höfeln Family Letters

Verfasser: Marie Charlotte Tritschler (Schmid)

Empfänger: Julie Fischer (Enslin)

Bezeichnung: Brief von Marie Schmid an ihre Tante Julie Enslin und Julie Enslins Tochter Johanna, vom 9. Februar 1890. Julie Enslin war eine Schwester von Charlotte von Höfeln und von Babette Tritschler; Marie Schmid war die Tochter von Babette Tritschler.

Marie Schmid an Julie Enslin, 9. Februar 1890

Original text

[roman:]Kirchheim[/roman] den 9 Febr. 1890 Meine liebe Tante Julie u. Johanna! Eure lieben Briefe vom 11. Nov. haben wir erhalten u. uns über die guten Nachrichten sehr gefreut. Wie glücklich bist Du l. Tante daß du noch so täthig sein kannst, gut sehen u. hören kannst. Da kannst du mit Lesen dich auch unter= halten wenn d. Haushaltungsgeschäften beendigt. Aber du solltest dir nicht zu sehr anstrengen, damit du dich noch lange der l. Johana erhältst, den wie herrlich ist es noch ein liebes Mütterlein zu besitzen dem man alles mittheilen, das es so herzensgut mit d. Kinde meint wie fast Niemand sonst. Ihr habt nach eurer Beschreib= ung gewiß ein schönes friedliches Leben. Gebe Gott daß es noch lang so bliebe. Ihr habt also ein gutes Jahr gehabt, Wein und Früchte. Auch wir habe wieder viel Johannisbeerwein gemacht nach einem neuen Rezept dieser ist so stark geworden daß wenn er alt u. in Flaschen gefüllt gewiß wie [roman:]Bordeau [/roman] od. Malaga wen viel schw. [insertion:]Johannisbeeren[/insertion] (Träublein) dabei sind. Ich lege das Rezept bei. Bei uns hat sich mancherlei unterdessen ereignet, darum die lange Verzögerung meines Schreibens. Gleich nachdem ich im Sept. meinen Brief fortgeschickt hatte wurde ich unwohl u. mußte mich legen. Es entwickelte sich nun ein langwiriges u. schmerz= haftes Unterleibsleiden an dem ich bis vor Weihnachten im Bett lag. Das war eine schwere Zeit. Mitte Okt. kam Johanna zurück sie durfte 14 Tage vor der Zeit nach Hause, da war ich versorgt. Jetzt kann ich Gott sei Dank wieder leichte Arbeit verichten aber das Bücken u. heben ist immer noch beschwerlich, ich bin aber dankbar daß es so ist, denn zuerst meinte der Arzt daß es nicht mehr zu helfen sei. Ich hatte mich auf alles vorbereitet. Das schwerste war mir für Johana, sie als unfertiges junges Mädchen zurückzulassen. Auch für meinen l. Mann. Wohl hätte er Johanna gehabt, aber wie sehr hätte ich Ihm gefehlt da er leider auch gar nicht so wohl ist. Er leidet an d. Leber ging ihm aber diesen Sommer ganz gut. Ich glaube, daß er sich mit meiner Krankheit recht alteriert hat, er sieht so schlecht aus u. wird mager u. macht uns große Sorge. Er hat einen Stuttgarter Arzt (Homeopath) u. wir wollen zu Gott hoffen, daß er uns bald aus dieser Angst errettet. Johana ist recht lieb wieder nach Hause gekommen zu unserer Freude noch das unschuldige Kind wie sie uns verlassen. Sie spricht recht nett Französisch u. hat manches gesehen u. gelernet. Ich habe jetzt ein rechte Hilfe an ihr, doch muß ich sie auch schonen da sie recht zart ist. Nach Weihnachten wurde bei uns alles an der Influenza krank, fast kein Haus blieb verschont. Oft lag die ganze Familie aufeinmal sammt Magd. Ja viele starben, meist solche, welche an schwacher Lunge litten auch an Gehirnleiden. Jeden Tag läuteten die Todtenglocken 2 oder 3 mal u die Trauerkoräle tönten vom Turm. Auch bei uns eröffnete Max den Reigen am letzten Tag ehe er wieder nach den Weihnachtsferien hätte arbeiten sollen d.7 ten Jann. So konnte er noch bei uns verpflegt werden. Zwei Tage nachher Johanna, dazwischen fühlte auch mein Mann Simptome legte sich aber nicht zu Bett sondern gieng in d. Schule dabei u. wieder auf d. Sopha. Kaum war Max abgereist u. Joh. wieder etwas auf als unser Dienstmädchen befalln wurde u. 14.Tg im Kranken= haus war. Dies war nun d. schwerste Zeit. Aber alles nimmt ein Ende.-----Ich blieb verschont, doch hatte ich mich etwas über, angestrengt u. spüre jetzt wieder etwas Unbehagen im Leib. Nun bin ich recht in Sorge wie es Euch während dieser Epedimie erging. Bei älteren Leuten ist es viel gefährlicher denn die ganze Welt ist ja fast in mitleidenschaft gezogen. Ich hoffe auf baldige Nachrichten. Ich danke dir l. Johanna daß du mir auch immer über Alexander u. seine l. Frau u. Kinder Nachricht giebst. Jessie hat gewiß viel durchgemacht. Es ist geviß schmerzlich für d. l. Eltern gewesen d. kl. Alice zu verlieren. es ist so herzignett Zwillinge zu besitzen, daß sie so wohlge= zogene Kinder haben freut mich sehr. Es ist für die Eltern ihr eigener Vortheil sie dürfen d. Früchte ernten u. das Kind selbst fühlt sich viel glücklicher Leider trifft man dieses jetzt so selten ich entsetze mich oft ganz wenn ich hör wie Kinder mit den Eltern reden in welchem Ton u. diese tadteln dieselben nicht einmal. Bitte Grüß Alexander u. Jessie ! Also im Juni wirst du 80 Jahre alt liebe Tante ! Diesen Tag werdet ihr recht festlich begehen ! Wenn ich nur auch bei Dir sein könnte l. Tante u. dir persönlich Blumen bringen könnte ! den 80ten Geburtstag d. l. Mutter haben wir auch recht schön gefeiert. Sie war so vergnügt an diesem Tag. Ihr Zimmer war voll mit Blumen, der übliche [?] Hügelhopfe [/?] auch mit Kranz u. Bouquethen ver= sehen u. alles was sie sonst nöthig hatte. Sie sagte aber trotzdem daß diß ihr letzter Geburtstag sei. Wir redeten es ihr aus, aber sie meinte daß sie es fühle. Und jetzt ruht sie schon ein ganzes Jahr im Grab! Ach wie schnell vergeht die Zeit! Du l. Johanna möchtest auch gerne etwas von den Nürnberger Ver= wandten erfahren. In meinem 20 ten Jahr war ich einmal ¼ Jahr in Nürnberg auf besuch u. aufs freundlichste u. liebe= vollste aufgenommen. Am Lauferschlagthurm hatte d. Onkel einen kleinen Laden wo er mit seinem einzigen Sohn der auch Uhrmacher war von Morgens früh bis Abends fleißig arbeitete. Sie lebten so zu sagen von d. Hand in den Mund. Der Onkel soll früher ein leidenschaftlicher Spieler gewesen sein. Hie u. da machte er noch mit alten Kammeraden ein Spiel aber nicht hoch. Doch kam er an solchen Abenden spät heim. Auch macht er an Sonntagen große Tagesmärsche um sich Bewegu[n]g zu machen. Auch oft Nachts spät. Weil er den ganzen Tag sitzen mußte. Bei diesen Gängen stand dann die l. Tante große Angst aus, ja ich machte öfters diese Verzeif= lungsvolle Nächte mit wo wir bis 12, 1 ja 2 Uhr auf blieben u. in Todesangst auf ihn warteten. Als ob es eine Ahnung d. l. Tante war, liß sie trotz seiner Versicherung, daß er ja sich nur Bewegung machen wolle u. Er oft den Heimweg nicht genau berechnen u. länger dazu brauche, dennoch nie aufhörte sich immer wieder zu ängstigen mit der Behauptung es geschehe ihm gewiß noch ein Unglück. Wie es ja auch geschehen seinen plötzlichen Tod verursachte. In der Dungelheit ver= fehlte er den rechten Weg u. fiel in die Pengnitz. Ich habe den l. Onkel recht lieb gehabt u. die Tante that ihm was sie [insertion:]ihm[/insertion] an den Augen ansah. Doch manchmal wurde der Onkel sehr heftig u. sie hatte dan schwer durchzumachen aber sie war sehr geduldig u. liebte ihn. Damals war sie noch eine recht schöne Frau. Ihre älteste Tochter Babette damals 18 jahr, zwei jahre jünger wie ich war gar nicht hübsch auch der Sohn Wilhelm hatte keine äußere Reize aber ein fleißiger u. gutgerathner Sohn welcher seiner Mutter u. Geschwister nach das Vaters Tod das Geschäft fortführte. Babette ging schon damals in ein [left margin, rotated 90 degress, top to bottom] Wenn du nur auch mein Schreiben lesen kannst es ist mir in der Hand so kein Schmerz Putzgeschäft als erste Arbeiterin. Käthchen (12 Jahre) ging noch z. Schule. Die ganze Familie war sehr musikalisch u. manche schöne Stunde mit Gesang (3 Stimig) verlebte ich dort. Sie hatten auch mehrere Zimmer an Logieherre vermiethet. Alles ohne Magd wurde vo ihn besorgt. Oft klagt Tante, wen sie nur auch etwas Geld hätte da bei d. großen Konkurenz sie es fast nöthig daß sie sich besser einrichten mit Uhren u. s. w. Der Onkel habe eben von der Mutter nichts mehr geerbt, u. deßhalb glaube ich sehen sie jetzt kein Arg in dem daß sie uns das Geld nicht mehr zurückzahlen können. Jetzt ist die Jüngste Kätchen gut verheirathet, (sie ist sehr hübsch) an einen Theilhaber an einem Bankgeschäft. Die Mutter u. Babette wohne bei ihr. Der arme Wilhlem hat um seinen Geschäft auszuhelfen eine ältere Wittwe ge heirathet mit einer 16 jährigen Tochter diese behandelte ihn eben so schlecht u. gab keinen Cent ins Geschäft, jetzt sind sie nach vielen Jamer wieder G geschieden. Sie seien alle ganz alt u. grau drüber geworden. Durch d. Vermittlung des H. [roman:]Neumayer[/roman] den Mann des Käthchens bekam er in einer [roman:]Cigarrengeschäft[/roman], welches der Firma des Bankgeschäfts gehört eine Stelle. Auch Babette ging mit. Sie führt d. Oberaufsicht über d. Arbeiter. Dieses ist in Bruck bei Erlangen. Jetzt ist sie aber wieder zu Hause es habe dort eine Veränderung gegeben durch den Austritt eines Compangions. Auch für Wilhelm sei es nicht mehr so günstig. Käthchen hat reizende Kinder wir haben d. Bilder. Wenn es euch interessiert dann sende ich sie Euch u. bitte sie um andere. Auch Johannas Bild denk ich kann ich Euch das nächstemal senden. Weil man hier keine gute bekommt u. immer nach Stuttgart muß kommt man so schwer dazu. Johanna darf nächste Woche nach Tübingen zu einer Freundin wo wir auf besuch. Eigentlich ein Bäschen ihre Mutter ist eine Tochter des Kaiserwirths Tritschler du l. Tante wirst sie kennen Luise sie hat den Postsektretär Sarton geheirathet Nun lebt Wohl! hoffentlich trift auch dieses gesund an. Seid von uns allen herzlich gegrüßt. Wir reden oft von Euch u. wünschten nur auch zu sehen. Doch du hast recht l. Johanna, wenn es hier nicht mehr sein kann, so wollen wir uns Mühe geben so zu leben daß wir würdig werden an einen Ort zu kommen wo uns das große Wieder= sehen zu theil wird. Das Träublerecept hat kein Raum [page 8, left margin:] mehr darum das nächste mal. Lebet wohl herzliche Grüße von eurer treuen Marie [/page 8, left margin:]