Sammlung: Benecke Family Collection

Verfasser: Frieda Amerlan

Empfänger: Josephine Amerlan (Benecke)

Bezeichnung: Brief von Frieda Amerlan an Josephine Benecke, 17. Januar 1888.

Frieda Amerlan an Josephine Benecke, 17. Januar 1888

Original text

Angermünde, 27.1.88.

Mein liebstes Finchen!

Ein volles halbes Jahr ist Dein Brief unbeantwortet geblieben. Das große Herbstereigniß: unser Umzug nach hier - nahm alle meine Kräfte in Anspruch, u. erschöpfte sie noch weit über Zeit u. Maß hinaus. Erst jetzt komme ich dazu, mich in Muße unsers Hierseins u. unsrer Wohnung zu freuen u. wünschte Du könntest recht bald kommen, Dich in den bekannten Räumen umzusehn. Die [?] Wanderstube [/?] ist mein kleines Besuchszimmer, wird aber im Winter aus Sparsamkeit nicht geheizt. Die Eckstube ist Wohn u. Eßzimmer

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zugleich. Großer runder Tisch in der Mitte. Am Fenster, wo sonst das Sopfa für die [insertion:] drei [/insertion] alten Tanten stand, steht Herzvaterchens Korbstuhl (immer noch der alte, aber mit neuen Kissen) sein Lesetisch u. sein Kanarienvogel. In der Hinterstube schläft Vater, in der Kammer daneben ich. Die Speisekammer habe ich zur Mädchenstube genommen, da unser par Vorräte in der Küche u. dem Keller Platz finden. Großvater Schnatters Stube ist Fremdenstube. Du weißt also nun wo Du bleibst - komm nur recht bald; für Klein Rubi ist auch Platz, u. für noch viel mehr. Der Aufenthalt hier im Garten u. die Ruhe würde Dir gewiß gut thun. Und Deine beiden prächtigen Mädchen gewiß für Papa Louis u. die beiden Brüder ganz vorzüglich fragen, wann - [illegible, 1 word] nicht vorzieht, ihre Hochzeitreise nach hier zu machen? Oder ist es noch nicht so

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weit? Wir alle haben [strikethrough, 1 word] ihren kleinen Roman mit herzlicher Teilnahme gelesen, u. finden ganz recht, daß Ihr nach sovielen Proben gegenseitiger Beständigkeit endlich Eure Einwilligung gegeben habt. [underline:] Treu u. gut [/underline] ein größeres Lob giebts ja gar nicht für den jungen Mann: unsern sozu-sagen "Schwieger-Enkel." -

- Augustes Wohnung ist klein aber recht elegant u. hübsch. Sie fühlt sich in der [strikethrough, 1 letter] alten Heimat auch sehr wohl, u. ebenso gefällt ihrer Frieda das kleinstädtische Leben, das viele In-der-Luft-sein, Spazieren fahren mit Onkels Pferden, etc. ... Daß wir Alle auch immer gesund gewesen, trägt allerdings viel zur allgemeinen Zufriedenheit bei. Selbst Herzvaterchen hat (unberufen!) viel seltner Schnupfen als in Stettin. Das macht, er geht gar nicht aus, sondern läßt alles zu sich kommen.

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Frida u. Auguste sind jeden Nachmittag von 4 - 7 hier. Oft kommen Tante oder [?] Nanni [/?] dazu; oder [?] Griebons [/?] alle drei kommen nach dem Abendbrot zum Plauderstündchen, Daß dabei die Rede oft auf die alten Zeiten kommt, kannst Du Dir denken. Weihnachten, [?] war [/?] Toni [?] Hallstädt [/?] mit drei Jungens u. Augustes beide Söhne hier, waren wir immer 12 - 14 Personen u. meist recht heiter. Die Jugend verlangt ihr Recht, u. [strikethrough:] reist [/strikethrough] reißt dabei uns Alten u. die beiden trauernden Mütter mit fort. -

- Jetzt ist es wieder still u. die Arbeit tritt in ihr Recht. Die Schweizer Zeitschr. wird wohl kaum mehr etwas von mir bringen. Die periodisch erscheinenden Blätter zahlen immer erst [underline:] nach Druck [/underline]; u. da sie sich zu keinem bestimmten Druck-Termin verpflichten, liegen die Arbeiten oft [underline:] zwei Jahre [/underline] auf den [?] Redaktionen [/?], ehe sie bezahlt werden.

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2.

Ich habe diese Verbindungen also nicht abgebrochen u. wieder ein selbstständiges Buch entworfen. Wills das Glück, daß ich im Laufe des Jahres einen Verleger finde, solls zu Weihnachten bei Euch sein.

Albert ist mit dem Leben in Wien recht zufrieden, nur sein Gehalt stimmt nicht recht mit den dortigen Preisen. Er steht deßhalb mit der [illegible] Regierung in Unterhandlung, daß seine Stellung die eines amtlichen Sekretairs werden soll, dann würde sein Gehalt verdoppelt. Dein Bruder Albert ist im Sommer Major geworden u. nach Halle a. S. versetzt.

Daß Louis dagegen solch Unglück [?] getroffen [/?], hast Du wohl noch nicht erfahren, da ich Dein einziger europäischer Korrespondent? Im Frühsommer mußte

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mußte der Ärmste seinen Konkurs anmelden. Ihm blieb nichts; u. Aufregung u. Sorgen machten ihn so krank, daß er im September noch bettlägrig war. Zu Neujahr hoffte er so weit zu sein, daß er wieder eine Kommisstelle würde annehmen können. Dazu war seine Frau im Mai von einem kleinen Mädchen entbunden (nach so langer Zeit das zweite Kind) u. das arme Ding so elend klein u. schwach, daß es in einem Puppenwagen Platz hatte. Auch leidet es an Krämpfen. Es ist recht trostlos. Tante Josephine hatte zur selben Zeit Magenkatarrh mit rheumatischem Fieber; sie hütete selbst das Bett, konnte nicht hin, u. so war die kleine elfjährige Frida die einzige Pflegerin ihrer Eltern. Steht Ihr [insertion:] oder Otto [/insertion] mit Hugo in Verbindung? Er schickt immer pünktlich das Geld an Tante (aus Kansas) aber seine Briefe sind rar.

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Neulich war Hanna Friedrichs mal ein par Stunden hier. Sie kam von Stettin, wo sich ihr Bruder Emil (48 Jahre alt) mit einer jungen Schauspielerin verheiratet hat. Anfangs waren die Schwestern sehr bestürzt darüber, aber seit sie die Schwägerin kennen gelernt [insertion:] haben [/insertion], sind sie ganz damit ausgesöhnt u. gewinnen sie recht lieb. Hanna sieht noch außerordentlich stattlich u. gut aus, obgleich ihr Haar ganz grau geworden ist. - Daß Helene [?] Schabenrauch [/?] geb. Jahn vor einigen Jahren starb, schrieb ich Dir doch damals? Jetzt (nach etwa 4 Jahren) hat Wilhelm sich wieder verheiratet und zwar mit einer Predigertochter. Da dieselbe aber (im Verein mit ihrer Mutter) die Erzieherin seiner Kinder war, mußte er den Abschied aus unserer aristokratischen Marine nehmen. Es ist schändlich!

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Sollte sich Lieb [illegible] die Mühe geben, mir mal wieder ein par Bände Zeitschrift. zusammen zu packen, wird sie mich sehr erfreuen. Damals machtest Du den Jahrgang vollzählig: es sind 12 Bände von November 84 - Oktober 85. Daß sie solch Bücherwürmchen geworden liegt in der Familie. Und warum auch nicht? fühlten wir alle uns doch wohl dabei. Sobald Doras Hochzeit stattfindet soll L. mir eine recht ausführliche Beschreibung davon schicken, wenn auch [?] englisch [/?]. - Doch nun genug; mein Armleiden hat sich zwar etwas gebessert, aber es ist auf die Rückennerven übergegangen; u. [insertion:] verlangt [/insertion] wenn auch nicht allzu schmerzhaft - doch etwas mehr Rücksicht u. Schonung betreffs des Grade-Sitzens sonst kann es leicht chronisch werden. Darum adieu für heut, lieber alter Joseph! Unsere Grüße für Dich u. Deine ganze Familie auch noch die (verspäteten) Glückwünsche zum neuen Jahr beifügend von Vater u. Auguste, grüßt u. küßt Dich herzlichst

Deine [illegible] A.