Sammlung: Benecke Family Collection

Verfasser: Frieda Amerlan

Empfänger: Josephine Amerlan (Benecke)

Bezeichnung: Brief von Frieda Amerlan an Josephine Benecke, 27. Juni 1888.

Frieda Amerlan an Josephine Benecke, 27. Juni 1888

Original text

Angermünde 27.6.88.

Lieber alter Joseph!

Heiß! heiß!! heiß!!! 23 Gr Reaumur im Schatten. Aber meine Thatkraft leidet hier doch nicht so darunter wie in den letzten Stettiner Jahren. Unsre Stuben sind ganz schön kühl u. der schattige Garten ist prächtig. Komme nur mal her u. erquicke Dich. Morgens bin ich schon vor dem Kaffee darin; mit Nanni zusammen, die jetzt auch ein Frühaufsteher geworden ist. Und Abends sitzen wir bis gegen draußen: die ganze Familie einschließlich Auguste u. Frieda, die jeden Nachmittag gegen fünf Uhr bei uns antreten. Es ist ein ganz gemütliches Leben (bis auf die kleinen Sorgen, welche freilich Niemand erspart bleiben. An die Zukunft denke ich absichtlich nicht, sondern freue

[new page]

mich über jeden Tag, an welchem uns unser lieber alter Herzvater erhalten bleibt. Er ist, Gott sei Dank, recht gesund u. munter, u. eigentlich den ganzen Tag im Garten. Am letzten Sonntag besuchten uns Onkel Fritz u. Tante Bertha aus Eberswalde. Letztere ist noch stärker als früher, aber dabei eigentlich recht krank (leberleidend) u. fast ganz taub. Onkel Fritz ist ein wunderlicher Heiliger geworden d.h. kein [underline:] Heiliger [/underline] grade, u. plagt sie mit seinen pedantischen Nörgeleien eigentlich bis aufs Blut. Sie ist aber immer still u. geduldig - nur sehr gedrückt. - Auch unser lieber alter Onkel Otto ist den ganzen Winter hindurch immer leidend gewesen u. oft sehr angegriffen. (Blasensteine u. Blutungen). Seit März schon trinkt er Wildunger Brunnen u. geht mit dem Beginn der Gerichtsferien gleich nach Karlsbad. Gott gebe, daß es ihm gründlich hilft. (Sein Vater u. Onkel Julius

[new page]

[?] Griebon [/?] sind an Blasensteinen gestorben.) Nanni wird mit gehn nach Karlsbad. Tante Alma aber hierbleiben, da Toni [?] Allstädt [/?] mit mit ihren Jungens zu den Sommerferien herkommt. Daruf freuen wir uns alle; die Jungens sind munter u. nett, u. Toni hat sich gleichfalls sehr viel Geistes- u. Herzensfrische bewahrt. - Äußerlich freilich sind wir in tiefer Trauer; d.h. wir tragen schwarz um unsern armen geliebten Kaiser Friedrich. Wieviel hat sich hier ereignet seit Dein lieber Brief vom März eintraf. Zwei Kaiser hat Deutschland inzwischen verloren. Die Trauerfeierlichkeiten um den greisen Wilhelm waren mehr als großartig; aber er war ein alter Mann. Der Schmerz um den schwergeprüften kranken Friedrich ist doch viel tiefer u. inniger. Hoffentlich habt Ihr keine konservative Zeitung gelesen, die auf die Kaiserin gehetzt? Die

[new page]

Kaiserin ist in Wahrheit ein Engel gewesen am Krankenbette ihres Mannes u. eben so [underline:] gut [/underline] wie sie klug u. gescheut ist. -

Aber politisieren will ich denn doch nicht, sondern viel lieber fragen, ob "unser Fritz" schon mit glücklich bestandenem Examen zurück ist? - Deine Sorgen u. mancherlei Gedanken, die Du Dir über Doras zukünftigen Hausstand machst, kann ich sehr verstehn, aber - wirf sie nur hinter Dich: ich habe längst einsehn gelernt, daß es nutzlos ist (mindestens überflüssig) der Vorsehung helfen zu wollen. "S'kommt allens andersch" sagen die phlegmatischen Sachsen. Über Euern Rache= u. Gespenster Schwur gegen jede "zweite Frau" haben wir herzlich gelacht. Nur unser Gustel war natürlich auf Eurer Seite. - Wo sie wohnt willst Du wissen? Natürlich [underline:] nicht [/underline] in unserm kleinen Hause am Markt.

[new page]

2.

Vor dem [?] Schwedter [/?] Thor ist mit der Zeit eine hübsche Villenstraße entstanden u. darin bewohnt sie eine sehr hübsche mittelgroße Parterrewohnung mit schattiger Veranda u. kleinem Garten. (Auf der rechten Seite - früher Schulzendorfschen Etablissement etwa gegenüber - vier Häuser hinter Nobbe's großem Garten, wenn Du Dich dessen noch erinnerst.)

Doch nun erst tausend Dank für Übersendung der Bücher, Bilder, etc - Ruby ist ja ein süßer kleiner Kerl! Um die Augen sieht er freilich etwas zart u. "schmachtend" aus, aber das wird sich schon geben wenn er erst in die Schule geht u. nicht mehr Mamas Schoßkindchen ist. Seine Zeichnungen sind ja wirklich erstaunlich für sein Alter. Sollte er zu einem Zukunfts-Rafael bestimmt sein? Wer hat denn all die

[new page]

Einlagen in das Century [one word, illegible]? die Bildchen? die [?] briegonische [/?] Nadel u. a? es amüsierte mich sehr, wie so eins nach dem andern zum Vorschein kam. Gelesen habe ich freilich in den beiden interessanten Heften noch wenig. Meine Nerven waren in den letzten Monaten leider etwas herunter, u. das, denke Dir, benimmt mir - der enragirten Leseratte von früher - jetzt immer zuerst die Lesekraft. Nicht nur die der [underline:] Augen [/underline], auch der dumme Kopf begreift dann nicht, was die Buchstaben bedeuten, die ich vor mir habe.

In den letzten Tagen fängt es langsam an, besser zu werden; dann soll - wie ich sagte - lesen u. schreiben wieder flott losgehn. Wären wir nur nicht durch den Ocean getrennt! Lucy-Lieb würde gewiß eine prächtige Schriftstellerhülfe u. Anregung für Tante Friedchen sein! Well!

[new page]

Daß "Unsre Jugend" eingegangen thut mir natürlich doppelt leid: Sie nahmen meine Arbeiten unbesehn. Für Dein freundl. Anerbieten, mir engl. Erzälungen zum Übersetzen zu schicken, danke ich Dir herzlich - [underline:] Übersetzungen [/underline] haben aber hier nur Aussicht Verleger zu finden, wenn sie zugleich mit dem Original erscheinen. Auch habe ich immer eigne Arbeiten in Menge angefangen, wenn einem nur die dumme Wirtschaft nicht soviel Zeit nähme. Es hats nicht jede so gut wie Du mit Deiner wirtschaftlichen prächtigen Dora! Ob ich wohl Deine[strikethrough:]n[/strikethrough] beiden Mädchen, Deinen Mann u. Deine Jungen je zu sehn bekomme. I wish I would. -

Mit diesem Wunsche adieu für heut: Zeit, Arm u. Augen wollen nicht mehr.

[new page]

Viel tausend innige Grüße u. den Wunsch besten Wohlbefindens [insertion from two lines below:] für Euch Alle insgesamt Groß u. Klein, Onkel Otto u. [?] die [/?] "Zukünftigen" nicht zu vergessen. [/insertion] zu Griebons, Auguste, Vater u.

Deiner [illegible] A.