Sammlung: Benecke Family Collection

Verfasser: Frieda Amerlan

Empfänger: Josephine Amerlan (Benecke)

Bezeichnung: Brief von Frieda Amerlan an Josephine Benecke, c. 30. Januar 1901. Frieda Amerlan begann mit dem Schreiben dieses Briefes am 4. Oktober 1900, aber sie erklärt, dass sie auf halbem Weg stehen blieb und ihn erst Monate später wieder aufnahm.

Frieda Amerlan an Josephine Benecke, c. 30. Januar 1901

Englischer Text

Original text

Dahme 4.10.00

Mein lieber, alter Joseph!

Genau ein Jahr ist verflossen seit ich Deinen lieben letzten Brief erhielt; u. dies mal war es mir leider nicht möglich, pünktlich zu Deinem Geburtstag zu schreiben. Wir hatten [insertion:] grade [/insertion] viel Krankheit im Stift u. da ich eine von den [underline:] jüngsten [/underline] u. kräftigsten bin, hieß es: pflegen. Das nimmt dann viel Zeit weg u. bei meinen nun bald vollen 60 Jahren auch Kraft. Ich will aber nicht klagen, sondern ganz zufrieden sein u. hoffen, daß auch Dir es leidlich gut geht, daß Deine lieben tapfern Jungens

[page 2]

zum 16ten Sept. wieder an den Germany-Fund gedacht haben. Nimm meinen herzlichen Glückwunsch nicht nur zu Deinem neuen Lebensjahr, sondern vor allem zu Deinen lieben, so hübschen u. begabten Kindern u. Deinem treuen, braven Mann, dem Du all dies Glück verdankst. Wenn er Dich nun noch im nächsten Jahr nach Deutschland zum Besuch bringt, dann setzt er seiner Güte u. Liebenswürdigkeit die Krone auf! Sorgt nun also dafür, daß Ihr bis dahin recht gesund bleibt u. getrosten Mut zu der weiten Reise behaltet. Im Harz soll es Euch dann schon

23.01.01. Daß ich erst nach beinahe 4 Monaten

[page 3]

dazu kommen würde, den angefangenen Satz durch das Wort "gefallen" zu beendigen, ahnte ich damals nicht. Ich kriegte aber den Auftrag, für eine Zeitschrift einen Bericht über die kunstgewerbliche Ausstellung in Berlin zu schreiben, Da galt es, sich schnell zur Reise zu rüsten.

D. 30.01. 01.

Ob dieser Brief wohl überhaupt fertig wird? Als ich neulich so weit war, wurde ich wegen plötzlicher Erkrankung einer unsrer Damen abgerufen. Es war die älteste; stocktaub, halbblind, eigensinnig u. ziemlich boshaft, hatte sie wenig Freunde hier im Stift. Ich gehörte zu denen, die sie mit ihrer Gunst beehrte,

[page 4]

u. da ich auch sonst die begehrteste Krankenpflegerin bin, blieb ich bei ihr, bis der Tod sie, Gott sei Dank, sanft erlöste u. wir sie gestern zur letzten Ruhestatt geleiteten.

Das obige Ehrenamt ist nicht immer angenehm u. nimmt mir wie Du Dir denken kannst viel Zeit. Im Sommer saß ich so [underline:] vier Monate [/underline] am Krankenlager meines Zimmers vis-a-vis, deren Bein wegen vereiterter Venen- Entzündung acht mal bis auf den Knochen aufgeschnitten wurde. Viele Wochen schwebte sie zwischen Leben u. Tod. Dazu der entsetzliche Geruch; ich badete mich immer förmlich in Karbol u. Lysol. Das nahm meine Nerven natürlich etwas

[page 5]

2.

mit u. ist eigentlich der Hauptgrund weßhalb Du keinen Geburtstagsbrief bekommen hast. Denn als die Kranke so weit besser war, daß sie in's Freie getragen werden konnte, da war's hohe Zeit, daß ich wieder an meine kleine schriftstellerischen Arbeiten ging, deren Ertrag ich nicht entbehren kann. - Deßhalb freute ich [insertion:] mich [/insertion] auch sehr über den Auftrag im Oktober; verlebte eine sehr anregende Woche in Berlin u. machte einen Abstecher nach Angermünde. Leider war das Wetter nicht günstig, so daß ich mich in der großstädtischen Hetzjagd bald erhitzte, bald erkältete u. eine kleine Influenza mit nach Hause brachte. Ich mußte infolgedessen

[page 6]

meine Weihnachtsreise nach Hasserode aufgeben, was Schwester Auguste u. mir sehr leid that; u. ihrer Frieda auch. Letztere hat sich jetzt dort durch ihre Musik eine sehr angesehene u. durchaus gesicherte Stellung errungen. Sie hat mehr Schülerinnen wie sie annehmen kann; bekommt für die Stunde 3 M. (1 Dollar etwa) u. hat neulich mit einer unsrer berühmtesten Virtuosinnen [?] koncertiert [/?] (Klotilde Kleeberg) u. viel Ehre geerndtet. - Natürlich freut sich Schwester Auguste sehr darüber; weiß sie doch nun, daß sie mal - über Frieda's Zukunft ganz beruhigt - ihre Augen schließen kann. Auch ihr jüngster (Dein Pathenkind) sitzt jetzt auf einer sehr guten Oberförsterei in der [?] Tuchler [/?] Heide. Hat Landwirtschaft dabei

[page 7]

Pferde, Kühe u.s.w. u. ist sehr vergnügt. Im nächsten Sommer wollen wir ihn mal besuchen.

Onkel, Tante u. Nanni sind immer recht munter gewesen u. haben am 28ten [?] Dec. [/?] den Geburtstag des ersteren noch in alter Fröhlichkeit gefeiert. Tonis Ältester kam dazu schon mit einer jungen Frau; der Zweite mit seiner Braut (Beide sind Schönheiten); der jüngste ist [strikethrough, 1 word] seit der Weltausstellung in Paris in Stellung. -

Bruder Albert ist in Wien geblieben; es geht ihm nur kümmerlich, aber er klagt nie. - - - - -

Vieles wirst Du verändert finden wenn Du nach Deutschland kommst; ich bin schon ordentlich neugierig, wie Du Dich über alles wundern wirst.

Besonders über Berlin.

[page 8]

Viel herzlich begieriger aber [insertion:] bin ich [/insertion] noch auf alles, was Du uns von Deinen lieben Kindern erzählen wirst. Briefe sagen doch noch lange nicht alles, was man wissen möchte. Und Deiner ist jetzt schon so alt. Am meisten habe ich an Otto gedacht; ob die [underline:] guten [/underline] Folgen der Operation nicht doch noch [underline:] nach [/underline] gekommen sind? Ich [strikethrough, "f"] wünsche es dem lieben Jungen u. Euch sorgenden Eltern so sehr. - Luiy wird jetzt schon eine strahlende junge Frau sein! ich sende ihr nachträglich meinen herzlichen Glückwunsch, u. bedaure nur, daß Ihr sie nicht auch in Bonus [?] viel [/?] behalten konntet, wie Dora. Daß Letztere "rund u. fett" wird wie Du schreibst, sind schlechte Nachrichten für das Brüderchen, welches Klein-Alma sich doch gewiß wünscht. Dem lieben Herzenskind gieb einen Kuß von mir. - Dabei fällt mir ein, Anna Jungheim ist nun auch Großmutter geworden. Ihre einzige Tochter heirathete den Sohn von einem unsrer früheren Tänzer ([illegible] mann Schmidt aus Dobberzin . - Daß Ludwig Ruby in St Louis bevatern will, ist ja prächtig von ihm; aber wer soll ihn "bemuttern"? oder denkt Ludwig noch an keine Braut? -

[left margin, page 1:]

Mit den herzlichsten Grüßen für Dich u. die Deinen, lieber alter Joseph, bin ich Deine [1 word, illegible] A.

[/left margin, page 1]