Sammlung: Hilgard Letters

Verfasser: Theodor Erasmus Hilgard

Empfänger: Maria Dorothea Engelmann (Hilgard)

Bezeichnung: Brief von Theodor Hilgard an seine Mutter Maria Dorothea Hilgard, 29. Februar 1836.

Theodor Hilgard an Maria Dorothea Hilgard, 29. February 1836

Original text

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Abschrift.
Belleville, den 29. Febr. 1836.
Theuerste Mutter!
Um meinem Worte nicht untreu zu werden und den Monat Februar ohne einen Brief an Sie vorübergehen
zu lassen, ergreife ich heute am Schalltage des Jahres 1886 die Feder. Mein letzter Brief war vom
23. Januar, und ist hoffentlich zu rechter Zeit angekommen. Seitdem hat sich in unserer Lage vieles geändert
u wir machen sehr rasche Fortschritte in der neuen amerikanischen Laufbahn. Wir bewohnen bereits
seit mehrern Wochen unsere eigene Farm, die ich von einem H. Dennis für 3000 D. gekauft habe, u die kaum 1/4
Stunde von Belleville, nach der Richtung gegen St.Louis, entfernt ist. Sie ist zwar keines wegs von sehr großem
Umfang; den sie enthält nur etwa 130 acres (etwa 200 Pfälzer Morgen) und es sind davon etwa nur 30
acres umzäunt und in Kultur. Allein sie entspricht desto besser unserm Plane, keine weitläufige und mühsame
Landwirtschaft zu treiben; und außerdem hat sie andere Vorzüge, die sie zu einer der angenehmsten Besitzungen
dieser ganzen Gegend machen u die schon mehr als einmal den Neid unserer Bekannten erregt haben. Denn erstlich
hat sie eine schönere Wohnung, als irgend eine andere Farm, die mir bis jetzt zu Gesicht gekommen ist. Das
zweistöckige Haupt-Wohnhaus ist völlig neu, von Backsteinen erbaut u auch im Innern mit einer gewissen, hier
zu Lande sehr seltenen Eleganz eingerichtet, so dass die Zimmer, die wir bereits mit unsere mitgenommenen Spiegeln
und Kupferstichen geschmückt haben, schon ungemein wohnlich und heimlich sind. Freilich darf man sich kein europäisches
Landhaus mit 8-10 Zimmern vorstellen. Es hat deren nur drei, nebst einem geräumigen Hausgang mit stattlicher
Treppe. Allein so ist es in America wenigstens hier im Westen - fast allgemein. Die zur Wohnung bestimmten
Räume sind überall sehr beschränkt und dies ist einer der Punkte, die dem europäischen Ankömmling anfangs unangenehm
auffallen, bis man sich daran gewöhnt und mit Verwunderung findet, daß sich auch so recht gut hausen läßt.
Eine treffliche Vorschule für diese Genügsamkeit sind die noch weit engeren Räume der Seeschiffe und Dampfboote, in denen
jeder vorher eine Zeitlang sich behelfen muß. Doch darf ich nicht vergessen zu sagen, daß auf unserm Gute,
etwa 12 Schritte von dem erwähnten Hauptgebäude, noch ein zweites Wohnhaus steht, welches zwei sehr große Zimmer
enthält aus denen sich sehr leicht 4 machen lassen; so daß wir, was die Wohnung betrifft, weit besser daran sind, als
alle eingewanderten Familien in hiesiger Gegend. Ein zweiter Vorzug unserer Farm besteht in ihrer anmüthigen
wahrhaft romantischen Lage auf einer Höhe, mit der Aussicht auf Belleville und mehrere umliegende Farms.
Die nächsten Umgebungen des Hauses sind ungemein schön. Eine gut erhaltene Umzäunung umschließt in einem großen
Vierecke das urbare Land u die Wohnung selbst sammt die Nebengebäude, u bildet zugleich einen Hofraum von mehreren Morgen,
der als im weiter Rasenplatz erscheint und reichlich mit schönen Schattenbäumen geschmückt und vor den Sonnenstralen
beschirmt ist. Vor dem Hause liegt, auf der Südseite und in einer Entfernung von etwa 20 Schritten, ein schöner und
geräumiger Garten, mit einem vollkommen netten Zaune u mit ungewöhnlich sorgfältiger Einrichtung. Diese, so wie überhaupt
die größere Eleganz in allen Anlagen dieses Gutes, rührt daher, daß der frühere Besitzer H. Dennis, nicht eigentlicher
Landmann war, sondern eine Art von Erziehungsanstalt hier hatte, was auch die Existenz des zweiten Wohnhauses mit
den großen Zimmern erklärt, die er als Schulräume benutzte. Auf beiden Seiten des Gartens sind Obstbaumstücke,
Äpfel, Birnen, Kirschen, Pflaumen u Pfirsiche. Auch diese Anlage soll mit großer Sorgfalt gemacht und die Sorten
ausgezeichnet gut seyn. Allein bei weiten - die meisten Bäumne sind leider noch zu jung, um Früchte zu tragen. Doch
verspricht der Obstgarten, in 3-4 Jahren ausgezeichnet schön zu werden; und daß er Birnbäume enthält, ist hier
zu Lande eine große Seltenheit. Zu allem dem kommt, daß die Lage des Gutes vorzüglich gesund seyn soll;
daß die Nähe von Belleville, des guten Marktes u sonstiger Beguemlichkeiten wegen, ihm als ein großer Vorzug
angerechnet wird, u endlich, daß im nächsten Frühjahre eine Eisenbahn von Belleville nach St. Louis geführt werden wird,
die auf jeden Fall auf irgend einem Punkte mein Eigenthum berührt und den Werth desselben in einigen Jahren
sehr erhöhen kann. Späterhin sollen Sie einmal ein Bildchen oder Zeichnung von unserer Wohnung u den Umgebungen
erhalten, um ihnen alles anschaulicher zu machen. Noch muß ich bemerken, daß die Küche , wie es hier gewöhnlich der Fall
ist, als im besonderen Anbau neben dem Hause steht. Sie ist sehr hübsch angelegt u unter derselben befindet sich ein
guter Keller. Allein da sie im vorigen Jahre abbrannte, so ist dieser Bau noch nicht ganz vollendet. Später wird sie
zugleich ein hübsches und geräumiges Eßzimmer abgeben vorstellen können. Ich habe in St. Louis einen Kochofen gekauft,
der zwar sehr theuer ist, aber auch seinem Zwecke ganz entspricht und das Kochgeschäft ungemein erleichtert, mehr
als irgend ein europäischer Kunst- und Sparheerd. So weit wäre nun alles schön u gut. Allein ich darf auch die
Schattenseiten unserer jetzigen Lage nicht unberührt, damit man nicht glaube, wir seyem ohne Weiteres ins Paradies
eingezogen. Eine dieser Schattenseiten ist, daß wir auf unserm Landgute, dessen früherer Besitzer schon seit einiger

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Zeit anderwärt lebte, ohne Viehstand, ohne Ackergeräthe und ohne irgend einen Vorrath an Lebensmitteln
oder Fütterung eintreten mußten und daß wir sonach alle diese Dinge noch besonders anschaffen müssen, was bei
den hohen Preisen derselben keine Kleinigkeit ist. Überhaupt sollte jeder Europäer, der an Auswanderung denkt
sich wohl merken, daß hier alles, was zu den Bedürfnissen, und noch mehr Allen, was zu den Behaglichkeiten des Lebens
gehört u Produkt des menschlichen Kunstfleißes ist, ganz enorm theuer bezahlt werden muß, so daß man noch weit
hinter der Wahrheit zurück bleibt, wenn mann sagt, daß man am Rheine mit einem Gulden,so weit reicht; als hier
mit einem Dollar. Einige Artikel machen jedoch eine Ausnahme, weil die Conkurrenz der Fabrikative bereits
stärker ist. So habe ich z.B. in St. Louis ein Dutzend sehr hübscher, mit Geschmack und Eleganz gearbeiteter Stühle zu
1 Dollar per Stück und noch schönere zu 2 Dollar per Stück gekauft. Eben so hat meine Frau den Preis eines Theeservice
und der nöthigen Tischgeräthschaften von Porzellan, die sie gleichfalls in St. Louis kaufte, für ganz billig
und verünftig erklärt. Wie oft habend wir uns schon Glück gewünscht, all' unser Bettzeug, so wie alles Weisszeug
mitgenommen zu haben. Kosten und Mühe des Transports kommen nur wenig in Betracht gegen den ungeheueren
Unterschied der hiesigen Preise u die Schwierigkeit u Weitläufigkeit der Anschaffung. Wenn Manche
in Europa glauben, daß man hier gewißermaßen in der Wildniß lebn, und daß von Luxusartikeln keine
Rede seyn könne, so sind sie im Irthüme; Denn in den Kaufläden zu Belleville, u noch mehr in denen zu
St. Louis, ist so ziemlich Alles zu haben, was der verwöhnte Sinn des Europäers begehren mag. Allein noch
weit mehr irren diejenigen, die da glauben, daß man hier mit einem geringen Vermögen- flott leben könne,
ohne zu arbeiten oder irgend etwas zu treiben, was die Einnahme mit der Ausgabe in das rechte Gleichgewicht
setzt. Späterhin, wenn mir selbst alle diese Dinge noch geläufiger geworden sind, gedenke ich mich ein-
mal umständlicher darüber zu verbreiten. Für jetzt berühre ich sie bloß oberflächlich, so wie ich überhaupt
bitten muß, auf längere Zeit alle meine Äußerungen, so wohl über die Anehmlichheiten, als über das Unangenehme
dieses Landes u meine eignen Beziehungen zu demselben, nicht als Definitive Ansicht u Meinung, sondern
blos als die vorläufige Wirkung der ersten Eindrücke zu betrachten. Denn ich bescheide mich gern, daß man
ein Land u dessen Bewohner und Verhältnisse nicht in einigen Wochen und auch nicht in einigen Monaten gründlich
kennen lernen kann. Eine weitere Schattenseite, der wir bereits gewahr geworden sind, besteht darin
daß auch in diesem Jahre die Winterkälte wieder streng, anhaltend und sehr empfindlich ist. Sie soll schon
im November angefangen haben, u dauerte mit wenigen Unterbrechungen bis heute fort. Indem ich dieses
schreibe, saußt draußen ein scharfer, durchdringender Nordwestwind, der Stein u Bein gefrieren macht
u gegen den die offenen, nach französischer Art eingerichteten Kamine nun vollkommen schützen. Es ist
daher auch beschlossen worden, daß künftig gute Öfen, an denen es hier nicht fehlt, an die Stelle der
Kamine treten sollen. So wären denn nun drei strenge Winter hintereinander hier erlebt worden; und
wenn auch, wie noch immer. Viele behaupten, eine so scharfe u anhaltende Kälte zu den Ausnahmen gehört,
so scheinen doch diese Ausnahmen häufig genug vorzukommen. Dabei ist die Witterung so wunderlich abwechselnd,
daß man manchmal fast in Versuchung geräth, darüber zu lachen. So wie der Wind um-
springt, und das thut er nicht selten mehrmals and einem Tage, trit eine grelle Veränderung der
Temperatur ein, und man kann am Morgen nie sagen, wie die Witterung um Mittag oder gar am
Abend seyn werde. Doch hat diese Eigenheit des Klima's bisher keinen nachtheiligen Einfluß auf die Gesundheit
der Meinigen gehabt. Sie sind - Kleinigkeiten abgerechnet - vollkommen gesund u so heiter, als
es in ganz neuen Verhältnissen, die erst anfangen sich zu gestalten, u in welchen, wie bei allen Anfängen,
nicht an kleinern oder größern Verlegenheiten fehlt, nur immer möglich ist. Von unsern
häuslichen Einrichtungen und unserm täglichen Leben u Treiben will ich für diesmal nicht umständlicher reden.
Es ist ohnehin erst noch Alles im Werden. Nur zwei Punkte will ich für jetzt kurz erwähnen. Nämlich 1.)
daß alle unsere Sachen, die wir von Europa mit nahmen, selbst die Delikatesten u zerbrechlichkeiten, als Spiegel,
eingerahmte Kupferstiche, seidne Stoffe u. s. w. völlig unversehrt hier angekommen sind; namentlich auch die
beiden Flügel. Der unsrige war nur etwas stark verstimmt. Er fand sogleich einen passenden Platz im
untern Zimmer; Molly unternahm mit gutem Erfolg, ihn zu stimmen u nun erfreut er uns fast täglich
mit seinen schönen vollen Tönen, da es im Kreise unserer Familie u Bekannten nicht an Musikverständigen

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fehlt; 2.) daß meine Frauenzimmer fürs Erste beschlossen, ohne Magd zu hausen, theils um die damit verbundenen
Kosten und sonstigen Unannehmlichkeiten zu vermeiden, Theils damit die jüngern Mädchen desto besser in
alle Zweige der häuslichen Thätigkeit eingeweiht werden. Dieser wackere, ächt amerikanische Beschluß hat mich
ungemein erfreut, so wie er auch für die Finanzen u den häuslichen Frieden von großer Wichtigkeit ist. Einige
der größern häuslichen Arbeiten, als Wasserholen u s.w. verrichtet unser Knecht Veix, den ich von Zweibrücken
mitnahm und der sich bis jetzt sehr brav betragen hat. Den übrigen Raum dieses Briefes will
ich nun benützen um von unsern Verwandten u nähern Freunden einige Nachrichten zu geben. Unsern getreuen
Begleiter und Helfer Edward widmet uns stehts alle Zeit, welche die Besorgung seiner eignen Angelegenheiten
ihm übrig läßt. Letztere - besonders die Anstalten zum Bau seines Hauses wollen bis jetzt nicht ganz nach
Wunsch vorwärts schreiten, da es allzu sehr an disponible Handwerksleuten fehlt. Er ist übrigens, wie alle unsere
übrigen Verwandten, gesund und guten Muthes. Theodor-Krafft ist abwesend in Handelsgeschäften. Er mußte
vor 4 Wochen eine Reise nach Baltimore, Philadelphia u New-York unternehmen, um Warrenvorräthe einzukaufen
u wird erst zu Anfang April zurückkehren. Er ist allgemein beliebt und geachtet und sein Establissement
übertrifft [insertion:]bei weitem der[/insertion] meine Erwartung. Sein Bruder Fritz hilft unterdessen dem Herrn Flanagau
(so heißt Th's[illegible]ahsocu) die Ladengeschäfte besorgen, u hat sich bereits mit merkwürdiger Leichtigkeit in diese Art Thätigkeit
gefunden, die ihn auch weit schneller als uns Alle in die englische Conversationssprache einweiht. Es sollte mich
nicht wundern, wenn er die Sattlerei zuletzt ganz fahren ließe und unter den Aufsehen seines Bruders gleichfalls
Kaufmann würde. Von Th. Hilgard und seiner freundlichen Emma habe ich schon in meinem letzten Brief
gemeldet, daß sie sammt ihrem lieben, frischen kernhaften Bübchen sehr wohl und vergnügt sind. Ich habe, nachdem
uns der Aufenthalt im Wirtshause zu Belleville unerträglich geworden, auf ihre freundliche und dringende Einladung
etwa 14 Tage lang mit meiner ganzen Familie bei ihnen gehaußt und kann ihr liebes und gastfreundliches
Benehmen nicht genug rühmen. Von der Engelmannisshen Familie kann ich wenig Neues berichten. Alle Mitglieder
derselben sind vollkommend gesund und den guten Onkel habe ich noch immer in einer heitern wiewohl
etwas Ernst gemischter Stimmung angetroffen. Sein Sohn Jakob ist seit einiger Zeit in einem Store
zu Belleville, um Kaufmann zu werden. In einer frühern ähnlichen Condition hielt er nicht aus, weil die Behandlung
angeblich zu streng war. Frau Ledergerber lebt mit ihrem Manne, der ein musterhafter Farmer ist
sehr glücklich, und auch Caroline geht, wie es scheint, einer recht erfreulichen Zukunft entgegen; wenigsten
gefällt mir ihr Bräutigam Decker in jeder Beziehung äußerst wohl. Bei Ledergerbers haben, in Folge
einer sehr freundlichen Einladung, meine beiden Töchter Rosa und Clara einige Wochen gehaust und sie
konnten nicht genug rühmen, wie lieb sie behandelt worden, und wie gut und verständig dort hausgehalten
werde. Unser Freund Fritz Wolf und sein jüngerer Bruder Herrmann sind wohl; allein den erstern
haben seine getäuschten Hoffnungen etwas verstimmt u verdüstert. Da wir ziemlich weit voneinander wohnen,
so sehen wird uns nur selten. Die übrigen Familien der deutschen Ansiedelung haben wir bisher
nur sehr oberflächlich kennen gelernt, da Wetter und Wege zu schlecht waren, um viele Besuche machen
zu können. Sowäre dem so ziemlich alles erschöpft, was ich für diesmal mitzutheilen habe und
es bleibt nur noch übrig, Sie, theuerste Mutter und alle unsere lieben Verwandten u Freunde in
Süd und Nord, in Ost und West, von uns allen aufs innigste zu grüßen. Doch muß ich noch erwähnen
daß Ihr liebes Briefchen, beste Mutter,— aus dem Monat November, glaub ich- richtig ankam, als wir
bei dem dicken Theodor haußten. Tausend Dank dafür. Lebt wohl, lebt wohl. Ihr tr. Sohn
Th. Hilgard.

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Via New-York & Havre [illegible]paiviet
Madame Hilgard, mère,
St. Johann, pris da
Landau
franco New-York
Allemagne. Baviere arénane.