Sammlung: Hilgard Letters

Verfasser: Theodor Erasmus Hilgard

Empfänger: Maria Dorothea Engelmann (Hilgard)

Bezeichnung: Brief von Theodor Hilgard an seine Mutter Maria Dorothea Hilgard, 12. September 1836.

Theodor Hilgard an Maria Dorothea Hilgard, 12. September 1836

Original text

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Belleville, Mitte September's 1836.
Beste Mutter!
Ein heftiges Gewitter hat mich von meinen Gartengeschäften vertrieben, und so ergreife ich unter tüchtigen
Donnerschlägen die Feder, um meinen September Brief an Sie zu schreiben, oder wengstens anzufangen.
Wenn Sie ihn erhalten, wird Freund Otto, falls seine Reise angenehm von Statten geht,
entweder bereits angekommen seyn, oder - doch in wenigen Tagen - ankommen. Vielleicht hat er Ihnen in Betreff
des Gesundheitszustandes unseres kleinen Eugen etwas beunruhigendes erzählt; dem grade an dem Tage, wo
Otto uns zum letztmal vor seiner Abreise besuchte, hat der Kleine, den wir längst für hergestellt hielten,
ganz unversehen einen neuen Fieberanfall, und zwar zum erstenmal mit Krämpfen — vermutlich in Folge
einer Überladung des Magens. Ich will Ihnen daher vor allen Dingen sagen, daß der Krankheitsanfall sich
seit dem nicht wiederholt hat, daß das Kind wieder recht munter ist und daß wir sehr sorgfältig nach
den Vorschriften des Arztes (Dr. Brickelmann) behandeln, um jeden Rückfall zu vorzukommen. Das schlimmste
bei der Sache war, daß meine gute Frau, die noch kurz vorher den trefflichen Zustand ihrer Gesundheit
sehr gerühmt hatte, durch den Schrecken über den unvermutheten u heftigen Krankheitsanfalls sich
sehr angegriffen fühlte u beinahe acht Tage lang unwohl war. Jetzt ist aber auch dies vorüber und die
ganze Familie befindet sich wieder ganz nach Wunsch. Der gewöhnliche Zeitvertreib des kleinen Patienten besteht
darin, daß er mit großen Eifer Schwefelhölzchen schnitzt, (denn diese gehören zu den  Artikeln, die
man sich hier zu Lande selbst fabriziren muß, da weder Bettelbuben mit dieser Ware unherziehen, noch irgend ein
Handelsmann sich soweit herablöset, sie zu verkaufen.) Hat er ein Päckchen fertig, so gibt er sie der Mutter
und sagt: "Da hast du Schwefelhölzchen Mutter, jetzt kaufst du mir auch wieder ein Hühnchenbraten." Andres
Fleisch darf er nemlich nicht essen, und schon mancher von den vielen jungen Hahnen, die wir den Sommer
über zogen, hat sein Leben für ihn hergeben müssen.
Um Ihnen, liebstes Mütterchen, unsere Lebensweise in Allgemeinen im wenig anschaulich zu machen, will ich ihnen die
Geschichte eines gewöhnlichen Tages ein wenig ausführlich erzählen. Natürlich verleben wir nicht gerade einen Tag wie den andern
und es gibt vielerlei Abwechslung, sei es durch Besuche, Ausflüge, Feiertage, gute oder schlimme Witterung va.
Allein im Durchschnitt ist unser täglicher Lebenslauf ungefähr folgender.
Ich schlafe, wie Sie wissen, mit den Knaben und Edward in dem großen Zimmer des untern Hauses, das so geräumig ist,
das die 4 Betten, die darin stehen, sammt einen sehr großem Tische, Edwards Flügel und 5 Koffern, noch immer dem
Raum eines ansehnlichen Zimmers frei lassen, und daß ist mir, sowohl hinsichtlich der Gesundheit als der Bequemlichkeit
nicht besser wünschen möchte. Gewöhnlich werden wir des Morgens, gleich nach Sonnenaufgang, dadurch geweckt, daß Freund
Adam, der in den Gemach unterhalb unseres Zimmers haust, sich von seinem Lager erhebt und mit geschäftigen
Geräusch die Voranstalten zu seiner Tagesarbeit trifft. Wir stehen nun alle zugleich auf u jeder geht an das
Geschäft, das er vor dem Frühstück zu besorgen hat. Edward pflegt nach den Leuten zu sehen, die in einer Entfernung
von 300-400 Schritten von unserer Wohnung, an der Erbauung seiner großen Brennerei- arbeiten. Adam
versorgt die Pferde, zwei sehr schöne Grauschimmel, Slate u Kora genannt, nebst einem Füllen, dem Hoffnungsvollen
Graf, Julius und Theodor bringen einem großen Mutterschwein, das ich vor einigen Monaten kaufte,
und das uns seit dem mit 6 prächtigen Ferkelchen beschenkt hat die Morgenmahlzeit, und Wilhelm postirt
sich an das Hofthor, um ein Signal zu geben, wenn die Milchkühe erscheinen um sich melken zu lassen.
Ich selbst mache meinen Morgenbesuch in dem obern Hause, um zu sehen, wie die Damen, die sämtlich dort hausen,
die Nacht zugebracht haben. Gewöhnlich treffe ich dann schon die größern Mädchen in Thätigkeit an. Molly reinigt
die Zimmer und macht die Betten; Emma bereitet das Frühstück; Rosa macht sich fertig zum Melken,—
denn dieses arkadische Geschäft hat sie sich gewählt und sie entledigt sich dasselben meisterlich. Die Mutter und
Klara bleiben Gesundheitshalber etwas länger zu Bette. Habe ich nun in Damenhause Alle nach Wunsch angetroffen,
so mache ich mir bis zum Frühstück noch etwas im Garten zu thun, wo namentlich das Umgraben der Felder, daß
Reinhalten der Wege, sowie die Besorgung der Bäume und fruchttragenden Stauden in mein Department gehören. Ist
das Frühstück bereit, so pflegt Eduard die Hausgenossen dadurch zusammenzurufen, daß er vor der Hausthüre

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auf seinem Jagthorn ein Stückchen bläst, was einen ganz romantischen Effekt macht, besonders da wir nach mehreren
Seiten hin ein schönes und deutliches Echo haben. Das Frühstück besteht gewöhnlich aus Kaffee, Milch, Butter und Käse;
außerdem wird bisweilen eine Melone aufgetragen. Wir verzehren es in dem untern Zimmer des Backsteinhauses. Die
Mutter präsidiert wenn die Luft noch etwas kühl ist, im ohrengrünen Mantel und belebt die ganze Gesellschafft durch ihre
muntere Freundlichkeit. Neben uns, über dem Karmine hängt ihr Bildniß, das in Zweybrücke über dem [illegible] Raurynn im Saale
angebracht war und schaut eben so freundlich auf uns herab. Nach dem Frühstück gehen die Frauenzimmer ihren häuslichen Geschäften
nach, die ich Ihnen, beste Mutter, nicht näher zu beschreiben brauche, und wir Mannsleute, groß mit klein, arbeiten
in Feld oder Garten bis 10 Uhr. Um diese Zeit wird es im Sommer zu heiß um länger im Freien zu verweilen. Ich habe daher
die Zeit von 10-12 und nachmittags von 2-4 Uhr zum Unterricht für die Kinder bestimmt, und wir treiben mit einen
der in abwechselnder Reienfolge Latin (mit Julius) Französisch, Englisch, Deutsche Sprache und Styleübungen, Geschichte und
Geograhie. Über dieser Beschäftigung kommt die Mittagsstunde heran, und nun ertönt abermals das Jagthorn, um
alle zu Tisch zu rufen. Unter unsern Tischen stellen Sie sich wohl eine ziemlich rohe Arbeit vor, vielleicht nur einige
rauhe, über abgesägten Baumstämmen zusammengenagelte Bretter. Mit Nichten! Unser Eßtisch ist eine große, elegant gearbeitete
und wohl gefirnissten Tafel von Kirschbaumholz, mit zwei Klappen, u unsere übrigen Tische sich verhältnismäßig
nicht weniger hübsch u bequem. Ich habe sie, so wie die Stühle und Bettladen in St. Lous gekauft und sie sind vergleichungsweise
nicht einmal besonders theuer. Der große Speisetisch, an dem die ganze Familie Platz findet, koßtete 10 Doll.;
ein eben so großer der in meinem Zimmer steht mit 3 Schubladen, aber ohne Klappen, 5 Doll.; solt mehrere kleine 4-5 Doll.;
ein Dutzend ordinäre, aber doch recht gute u nette Stühle, 12 Doll.; 2 Dutzend ganz elegante, 12 Doll.; jede Bettlade von
Nußbaumholz und gefirnsst, 7 1/2 Doll. u.s.w. Auch das ordinäre Porzellan, dessen wir uns beim Essen u Frühstück bedienen
ist ziemlich billig u doch von ganz guter Qualität. Das Dutzend Teller z.B. kostete 1 Doll. u für 4 Doll. kaufte er
ein ganzes Kaffeeservice, bestehend aus 2 Dutzend Tassen, 1 Kaffekanne, 1 Theekanne, Milchkanne, Zuckerdose, 2 Näpfen
mit Untersätzen und 12 Deserttellern. Da wir nun bei Tische sitzen, so wird es hier nicht unpassend seyn, etwas
von unsern Speißen u Getränken zu sagen. In der ersten Zeit fehlte es in dieser Beziehung nicht an Verlegenheiten, da
wir unser Gut entblößt von allen Vorräthen antraten und auch anfangs weder Kühe noch Federvieh halten, also auch Milch, Butter
und Eyer kaufen mußten. Allein das Alles gab sich bald. Wir kauften 3 Milchkühe mit 3 Kälber, 50 Stück Hühner
einige geschlachtete Schweine u.s.w. Im Garten fanden sich mehrere Kraufköpfe vor, die mit Stiel und Wurzel umgekehrt in
die Erde eingeschlagen waren und sich auf diese weise sehr gut erhalten haben. Die Frauenzimmer machten daraus vortreffliches
Sauerkraut. Dazu kauften wir uns Fässchen eingemachte Bohnen, Kartoffeln u.s.w. Auch hatten wir noch manche
Artikel mitgebracht, die uns sehr zu gut kamen, z.B. gedörttes Obst, gerollte Gerste va. Jetzt sind wir mit allem was
Speise und Trank betrifft, auf erwünschtem Fuße, das Gemüse, nebst Melonen liefert unser eigener Garten in Fülle. Unsere
Kartoffeln sind von so trefflicher Art, sowohl zum [?]Kufe[/?] als Quellen, daß wir uns nicht erinnern, jemals bessere gegessen zu
haben. Gutes Waizenmehl — die feinste Sorte zu 3 1/2 Doll., die mittlere zu 2 Doll. per Centner liefern die Dampfmühlen in
Belleville. Unser Brot backen wir selbst in einem recht netten Backofen, den uns Meister Stauder, ein deutschter Maurer,
aus Backsteinen gebaut hat, und — ohne Ruhm zu melden- wir verstehen dieses Geschäft vortrefflich und klopfen nicht weniger
Stolz mit gekrümmten Zeigefinger auf das leckere und leichte Brod, als es, wie ich mich noch recht gut erinnere, der
selige Vater in Marnheim zu thun pflegte, wenn ihm ein Gebäck gut gelangen war. Waizenbrod backt sich aber
auch leichter als Kornbrot. Die Amerikaner haben keine Backöfen und essen gewöhnlich kein ordentliches Brod. Bei ihnen
hat jeden Tag die Hausfrau in der Pfanne am Feuerherd ein Brod aus Welschkornmehl zu backen, welches ganz
warm, oft heiß genossen wird, u sicherlich dazu beiträgt, diesen wunderlichen Menschen den Magen zu ruinieren u
ihnen Fieber und andere Übel zu zuziehen. Wir lieben auch das Welschkornmehl in Klößen, Brei u Auflauf,—
doch ziehen wir das Waizenmehl in jeder Beziehung vor. Bei dem Brodbacken schlüpft öfter auch eine Zimmerkuchen
oder irgends ein anderes Backwerk zum Naschen mit in dem Ofen. An Obst, besonders an Äpfeln fehlt es  
hier nicht, und in der Regel sind sie auf wohlfeil. Die meisten Arten sind gut, aber außer den Rathenau
(Rumland) habe ich hier noch keine Sorte angetroffen, die mir früher bekannt gewesen wäre. Unser eigner Obstgarten,
obgleich gut angelegt, ist noch zu jung, um uns hinreichend mit Obst zu versorgen Nur wenige Bäume
haben in diesem Jahre ihre Erstlinge getragen. Pfirsichbäume sieht man überall in Menge; aber sie tragen nicht jedes
Jahr, in Folge der Winterkälte. In gegenwärtigem Jahre hängen sie so voll, daß fort überall die Bäume brechen.
Birnen sind in hiesiger Gegend noch sehr selten; in meinem Obstgarten habe ich jedoch 10-13 junge Birnbäume vorgefunden.
Ob sie fortkommen werden, muss die Erfahrung lehren. An Fleischspeißen ist kein Mangel. Die meisten
Farmers Familien begnügen sich zwar so ziemlich das ganze Jahr über mit Schweinefleisch, insofern nicht das ganze
Geflügel des Hofes, oder die Leute der Jagt einige Abwechslung gewährt. Wir aber haben durch die Nähe von

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Belleville den Vortheil, daß wir bei einem deutschen Metzger, der sich dort etablirt hat und sehr gute Geschäfte
macht, nach Belieben jede Sorte Fleisch bestellen können. Auch ist unser Hof ziemlich reich an jungen Geflügel. Das wir
im Lauf des Sommers selbst erzogen haben. Die Jagd kommt bei uns nicht in Anschlag, da weder ich noch Edward gute
Schützen sind und wir auch bis jetzt wenig Zeit zum jagen fanden. Späterhin gedenke ich es etwas mehr zu treiben u
auch meine Knaben scheinen ziemlich mit Jagdtalenten begabt zu seyn. Überhaupt wird die Zukunft noch manches
bringen u entwickeln, was zum Vollgenuß des hiesigen Leben gehört. Es bedarf einer gewissen Skaler u einer
längern Gewöhnung, um den hochgefüllten Lichte der Freiheit und Natur, der uns hier dargeboten wird
recht mit vollen Zügen und mit gehöriger Behaglichkeit auszuschlürffen. Um nun auf etwa von unsern Getränken
zu sagen, so muß ich vor allem des guten, reinen und leichter verdaulichen Wassers, das unser Brunnen
liefert, mit gebührendem Lobe gedenken. Unser Wasser in Zweybrucken beschwerte meiner Frau den Magen.
Das hiesige verträgt sie vollkommen. Auch ist es seiner Weichheit wegen, zum waschen sehr brauchbar.
Der Brunnen liegt etwa 20 Schritte vom Hause und ist ein Ziehbrunnen mit ziemlich bequemer Einrichtung. Wir
finden, daß in den Ziehbrunnen das Wasser reiner bleibt als in denen mit Pumpen, wo es läuft durch da
das Faulen des Pumpenstocks verunreinigt wird. Eine starke Quellen mit sehr gutem Wasser findet sich gleichfalls
300-400 Schritte von unserer Wohnung; allein wir habend sie bisher nicht benutzt, weil uns der Brunnen
vollkommen genügt. Desto nützlicher ist sie dem weidenden Vieh, das außerdem in einem kleinem Bache und in
dem ansehnlichen Richland-Creek, die beide in unserer Nähe fließen, Wasser in Überfluß findet. Auch mit
Wein sind wir wohl versehen. Ich kaufte in New Orleans bei unserer Durchreise eine Barrigue (100
Bouteillen) rothen Bordeaux Wein und ein Baril (100 Bouteillen) weißen Borsao, beide von sehr guter
Qualität. Von dem ersten kommt mich die Bouteille höchtens auf 16 cents (34 kr), von dem zweiten auf 20
cent (30 kr) zu stehen, mit Zubegriff der Transportkosten. Ich war erstaunt über die Wohlfeilheit, dieser Preise,
und begreife nun schon eher, warum den Amerikanern so wenig darin legt, selbst Weinbau zu treiben.
Sie plagend sich nicht gern um Dinge, die ihnen der Handel so leicht u so wohlfeil zuführt. Auch lieben die Amerikaner
im Allgemeinen, bis jetzt wenigstens, den Wein nicht besonders. Sie ziehen ihren Whisky vor und viele trinken
aus Grundsatz [?]nie[/?] etwas anderes als Wasser. Cider macht fast jeder Farmer aus seinen Äpfeln; auch an gutem
Bier fehlte es uns bis zum July nicht. Herr Fleischbein, aus Draugstein — ein sehr tüchtiger Mann u
guter Freund von uns, hat mit gutem Erfolg in Belleville eine Bierbrauerei angelegt. Vetter Aug. ist sein
[?]Ahtonie[/?]. Von dort beziehen wir auch unsere Bierhefe, die Gretchen sehr rühmt. Sie sehen also, liebste Mutter, daß
wir auch an Getränken aller Art keinen Mangel haben und wenn unser Weinvorrath zu Ende geht, so wird es
ein leichtes seyn, ihn von New-Orl. aus, wo wir gute Bekanntschaften haben, wieder zu ersetzen. Auch ein
dutzend Bouteillen Champagnir (1 Doll. per Stück) mußten von New-Orleans mit uns wandern, und bei besonderen
Gelegenheiten, thun damit aus gütlich. Neulich, als ich des Abends schon schlafen gegangen war, hörte
ich im Frauenhause noch besonders lebhafte Gespräche u Gelächter. Am andern Morgen nach dem Frühstück gestanden
die Frauenzimmer unter vielen lachen, daß sie sich über ein Bouteille Champagner hergemacht u sie halb
ausgeleert hatten. Solche Anwandlungen von Muthwillen sind wohl der beste Beweis von vergnügter Gemüthsstimmungen.
Doch wir haben nun schon sehr lange zu Tisch gegessen und es ist Zeit aufzustehen. Gewöhnlich
sind die ersten Nachmittagsstunden sehr heiß. Es ist daher eine Zeit der ruhe für Thiere und Menschen, und
jeder sucht es sich so behaglich zu machen, als er kann. Freilich müssen die Frauenzimmer nun erst aufspülen
und dies ist eben nichst das angenehmste Geschäft. Doch erheitern sie es gewöhnlich durch muntere Gespräche, und
es wird sehr rasch abgethan, da meine zwei oder drei es gemeinschaftlich verrichten. Oft ist die ganze
Familie dabei in der Küche versammelt, wo eine große Bank Platz genug zum Sitzen gewährt und
hilft plaudern und Scherze machen. Gegen 2 Uhr während die Mädchen oben sind, um sich anzukleiden,
trinken die zwei Alten eine grosse Tasse Kaffee, und zwar an einem großen Tische vor dem Hause, den wir selbst
fabriziert haben und der von Mittag an Schatten hat. Von 3 bis 4 Uhr gebe ich, wie schon gesagt, den
Knaben wieder Unterricht. Im Lauf des Nachmittags kommt öfters Besuch, sei es aus Belleville oder aus
dem deutschen Settlement u bleibt bis gegen Abend. Um diese Zeit besorgen die Frauenzimmer, wenn das
Wetter danach ist, im Geschäfte in Garten, u so kommt nur allzuschnell die Stunde des Abendesssens herbei,
zu welchem abermals das Jagdhorn die Einladung ertönen läßt. Nach dem Abendessen wird geplaudert,

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gelesen gelacht, diskutirt und mutiert u.s.w. u dann begibt jedermand sich gewöhnlich ziemlich frühzeitig
zu Bette. Unsere Nacht ist — im Frühling und Vorsommer der unausbleibliche Ruf des Whippermiel
des amerikanischen Kukus, und in Spätsommer das tausendfache Geschrei und Gezirpe der Cicadenn Grillen va.
Sie sings umher auf den Bäumen hausen. Beiderlei Conzertee [?]Ruck[/?] nicht besonders angenehmn und belüstigen
anfangs die Ohren sehr, bis man sie gewohnt wird und überhört. Nichts ist dagegen schöner, als der
Sonnenuntergang, der unsern Blicken durch nichts entzogen wird, da wir gegen Westen hin ganz freie
Aussicht haben, der gewöhnlich sehr beite und angenehme Abendhimmel u die prächtigen Sternhellen Nächte.
Als Wächter von Haus und Hof haben wir zwei Hunde; Flora, eine große und schöne Hündin, die aber von
etwas zu freundlicher Natur ist u Pfeffercher einen kleinen Kläffer von [?]jubeser[/?] Rasse. Übrigens denkt
niemand darin, bei Nacht Thore oder Thüre zu verschließen, u doch hört und sieht man nichts von
Diebstahl oder sonstigen Störungen der Sicherheit.

Via New=York x Havre [illegible]paiviet
Madame Hilgard, mere
paid 45
Sept. 13
paid New=York
St. Johann pries Landau
Allemagne Baviere arénane.
Da haben sie nun, beste Mutter eine kurze Skizze unseres täglichen Lebens. Es ist einfach, aber genußreich
u bietet manchmal wahrhaft idylische Situationen dar, besonders an den herrlichen Sommerabenden,
wo die ganze Natur um uns her so schön, so friedlich und so feierlich ist, wo die funkelnden Leuchtkäfer zu
Hunderten Feld und Weld illuminieren u alle Hausthiere, die Pferde mit übegrifffen, vertraulich um uns
her spatzieren, durch Blicke u Bewegungen um ein wenig Salz betteln und sich gutmüthig liebkosen lassen.
Das Nächste mal erzähle ich Ihnen etwas Näheres von unsern Bekanntschaften ausflügeln. Bis
dahin leben Sie recht wohl, theuerste Mutter, und grüßen Sie all unsere Lieben — nah u fern aufs
innigste von uns.
Ihr treuer Sohn
TH. Hilgard Sen.
PS. In einem füheren Briefe habe ich das hiesige Klima als sehr
angemnehm gepriesen. Ich will nun zwar dieses Lob nicht wieder
rufen, muß aber doch, der Wahrheit zur Steuer, bemerken, daß
wir seit Anfang September, bis heute — den 12. — fast immer
regnerisches, kaltes und unfreundliches Wetter hatten.