Sammlung: Benecke Family Collection

Verfasser: Frieda Amerlan

Empfänger: Josephine Amerlan (Benecke)

Bezeichnung: Brief von Frieda Amerlan an ihre Schwester, Josephine Amerlan Benecke, 12. Oktober 1890.

Frieda Amerlan an Josephine Benecke, 12. Oktober 1890

Original text

[roman] Ang. [/roman] 12.10.90.

Mein armes liebes Finchen!

Wie sehr, sehr leid thut es mir, daß du (u. Ihr Alle) solche schwere Zeit durchgemacht habt! um so schwerer als es dein Bruder war, der sie Euch verursacht, u. den Ihr doch lieb gehabt habt trotz seiner Fehler, u. zu dem Ihr immer so gut gewesen seid! Es scheint wirklich, als ob die Macht solcher Frauenzimmer desto dämonischer ist, je verworfener sie selber sind. - Eurer Mutter haben wir natürlich nichts davon geschrieben; es würde sie - die schon so alt u. gebrechlich ist u. sich in ihrer Einsamkeit so viel um ihre Kinder grämt - nur aufregen u. noch mehr betrüben: sie trägt die Last ihres traurigen Lebens schon so schwer. - Hugo soll ihr natürlich davon auch nichts schreiben; aber [underline] überhaupt mal wieder schreiben [/underline], das könntest du ihm ans Herz legen. Ich bin fest überzeugt, daß solche Dinge wie mit Otto, die ja leider auch hier in Europa nicht selten sind, viel weniger oft vorkommen würden, wenn [insertion] auch [/insertion] die Männer mehr gewöhnt würden, an die Pflichten denken, welche sie ihrer Familie schuldig sind! -- Da! nun ist dies eine richtige alte Tanten- Predigt für Hugo geworden was Dir doch nur

[page 2]

unser Aller herzliche Teilnahme an Deinem Kummer ausdrücken sollte. (Aber ihm fehlt sie nicht, es ist ja weit über ein Jahr her, daß er nicht an seine Mutter geschrieben. Und noch dazu im Lande der Schreibmaschinen, wo ein Brief so fix: [insertion] fertig [/insertion] ist: tippel, tippel, tippel - weiter nichts.) [underline] Dir [/underline] kann ich nur aus bestem Herzen rathen: Vergiß! Du hast die Deinen, die du lieben kannst u. die dir Freude machen! - - Auch wir müssen so manche Sorge zu vergessen suchen, die an uns herantritt. Zunächst die mit der kleinen Martha. Im Victoriahaus (zur Krankenpflege) haben sich ihre Kräfte als nicht ausreichend erwiesen. Am I ten d. M. trat sie ein, am 8 ten mußte sie es schon wieder verlassen. Noch dazu mit einer schweren Erkältung, an welcher sie jetzt noch das Bett hütet bei [?]Mita[/?]. Natürlich kann sie dort, die ihre Plage mit den zwei kleinen Kindern hat, nicht bleiben (auch stehn sich die Schwestern nicht gut); Sobald Martchen also reisen kann, kommt sie für den Winter zu uns. Sie ist uns auch herzlich willkommen; aber - was später? - Deiner Aufforderung, zu Euch zu kommen wenn sie Englisch könne, hatte sie die größte Lust, gleich zu folgen, denn sie spricht es leidlich. Aber das geht doch nicht. Selbst

[page 3]

wenn Bruder u. Schwager das Reisegeld aufbrächten. Wenn sie dort keine Gelegenheit hat, Geld zu verdienen u. für ihr Alter zu sparen, wäre es doch auch nur eine Vergnügungstour. - Lieber wünsche ich, du hättest die Deinen ausgeführt u. wärst mit den Kinder-Ersparnissen nach hier gekommen. Das wäre mal eine Freude gewesen für uns Alle! Mit der würzigen Luft im Garten ist es zwar nicht mehr weit her, denn die Eisenbahn-Schienen u. der Bahnhof sind bis dicht an den Zaun u. die Scheune vorgerückt u. qualmen uns oft mächtig ein; aber den Wald hätten wir in diesem Jahr noch ordentlich genießen können! Nächsten Sommer hat das ein Ende, denn zu Ostern hat Onkel seinem Kutscher gekündigt, will Pferde u. Wagen verkaufen u. auch die Jagdpacht nicht erneuern, weil er sich zu alll solchen Sachen nun doch zu alt fühlt. Im Ganzen ist er aber recht erholt aus der Schweiz zurückgekommen, auch Tante Alma hat sich noch mal recht gekräftigt. Am 6ten October feierten wir ihr 48 jähriges Hochzeitsfest u. war es eine Freude zu sehn, wie munter die beiden alten Leute waren. Auch unser altes Vaterchen fühlt sich seit dem Spätsommer recht frisch u. wohl, u. hat noch viel im Garten sein können. Gott gebe, daß er gut durch den Winter kommt.

[page 4]

Daß meine Glückwünsche, die ich hiermit in wärmster Herzlichkeit nachhole, nicht zu Deinem Geburtstag ankamen mußt Du durch mein Befinden entschuldigen. Ich hatte mich im Sommer durch die Schreiberei thatsächlich so abgearbeitet, daß eine Sommerfrische dringend geboten war. Ich ging in ein kleines billiges Gebirgsdorf des Sächs. Erzgebirges; u. um die gänzliche Ruhe u. Einsamkeit für meine heruntergekommenen Nerven so recht wirksam zu machen, mußte ich auf Anraten des Arztes mich [underline] jeder [/underline] Beschäftigung enthalten, durfte auch an Vaterchen nur einige [strikethrough] W [/strikethrough] wenige Postkarten schreiben. Vom 27 Aug. bis 18 Spt. war ich dort u. hat es mir recht gut gethan. (Mein schönes seidnes Kleid ließ ich dazu aber nicht machen, das hebe ich mir zur goldnen Hochzeit auf! Für die Straße ist es hier in Deutschland viel zu schade.) - Mein Buch "Aus Urväter Tagen" betitelt, ist jetzt im Druck. Nächsten Monat hoffe ich Lucy ein Exemplar schicken zu können. Grüße Deine Kinder recht sehr herzlich von mir: ich freue mich immer so, wenn du recht ausführlich von ihnen schreibst. Ruby schickt nur zum Winter noch nicht zur Schule; erst muß er kräftig werden - da er so begabt ist, holt er später alles nach. Du schreibst dies mal gar nichts von Ludwig? Führt er seinen Plan aus Ingenieur zu werden? oder ist er noch zu Haus bei Euch? Ist Theodor glücklich fort?

[left margin, page 4:]

Unsre Auguste hat augenblicklich ihren Jüngsten, Deinen Pathen Herman, auch zu Haus. Er hat seine Examina alle glücklich u. sehr gut bestanden u. hofft nun sehnsüchtig auf Anstellung.

[/left margin, page 4]

[left margin, page 3:]

Damit Gott befohlen! für heut, mein liebster, alter Joseph! Hoffentlich treffen meine Zeilen Euch Alle in bester Gesundheit an. Bei Euch ist wohl

[/left margin, page 3]
 

[left margin, page 2:]

noch [roman] „Indian Summer“ [/roman] u. Sonnenschein? Wir heizen schon. - Der Krach in Argen- tinien hat Bruder Albert in Wien natürlich auch indirect geschädigt; doch hilft er sich tapfer durch.

[/left margin, page 2]
 

[left margin, page 1]

Mit tausend herzlichen Grüßen von Vaterchen, Auguste u. Griebens; u. Händedruck u. Kuß - deine tr. Schwester F. A.

[/left margin, page 1]