Sammlung: Benecke Family Collection

Verfasser: Frieda Amerlan

Empfänger: Louis Benecke

Bezeichnung: Brief von Frieda Amerlan an Louis Benecke, den Witwer ihrer Schwester Josephine Amerlan, 1. September 1919. Dies war offensichtlich ihr erster Brief an ihren Schwager seit mehreren Jahren und beschreibt die Folgen des Ersten Weltkriegs für die Familie Amerlan in Deutschland.

Frieda Amerlan an Louis Benecke, 1. September 1919

Englischer Text

Original text

[roman] Dahme (Mark) [/roman] 1.9.19.

Lieber Louis!

53.677 Briefe sind mit dem ersten Postschiff aus Amerika in Hamburg angekommen. Ob wohl einer von Dir darunter ist, der uns erzählt, daß Du lebst u. daß es Dir u. deinen Kindern gut geht? Welch' eine große Freude würde das sein! Wir haben ja seit Jahren keinerlei Nachricht von einander. Denn [strikethrough] de [/strikethrough] wir keinen Brief von Dir bekamen, wirst Du auch die unsrigen nicht erhalten haben.

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Aber vielleicht schreibst du uns jetzt mal wieder, wie es Euch inzwischen ergangen ist? Hoffentlich gut. Deine lieben Enkelkinder sind herange- wachsen, Theddy muß ja schon ein junger Herr sein? Alma vielleicht sogar schon verheiratet?

Von uns (Schwester Auguste, Frieda u. mir) kann ich dir - was unsre Gesundheit betrifft - Gott sei Dank ziemlich Gutes berichten. Schw. Auguste trägt alles Leid, das der unselige Krieg unsrer Familie gebracht hat, tapfer u. ergeben. Sie ist 84 Jahr u. wohl schwächlich, aber nicht krank. Daß ihr

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ältester Sohn in München verheiratet war, weißt du. Er hatte 3 Söhne. Der eine, ein junger Officier, fiel gleich im ersten Winter in der Schlacht von Lille u. liegt in Frankreich begraben. Dem Zweiten schoßen sie im Ailly-Wald das [insertion] rechte [/insertion] Bein ab. Er lag 17 Monate im Lazaret; ist jetzt aber ganz geheilt, hat ein künstliches Bein, das er wie ein gesundes brauchen kann. [strikethrough] u [/strikethrough] Auch hat er eine gute Stellung gefunden. Im Jahre 17 stellte sich der Vater der Regierung zum Civildienst in Warschau zur Verfügung. Er vertrug das Klima nicht u. starb [strikethrough] er [/strikethrough] nahe der russischen Grenze an Lungenbluten. Ist das nicht genug Leid für seine Mutter u. Schwester?

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Und nun quält uns noch die Sorge um ihren jüngsten Sohn. Er ist hoher Forstbeamter; sehr angesehn aber sein Amtsbezirk liegt leider in der Tuchler Heide dicht an der polnischen Grenze. Da ist es jetzt sehr unruhig. Mord u. Raubüberfälle finden fast täglich statt. Wir wagen gar nicht, daran zu denken. -

Schmerzlicher [insertion] noch [/insertion] u. schwerer zu ertragen ist für uns Alle jedoch der Zusammen- bruch unsres geliebten deutschen Vater- landes. Die Lüge u. Verleumdung, die uns immer neue Schmach antut; die unsre armen unglücklichen Kriegsgefangnen nicht herausgiebt. Ich weiß nicht, wie deine Kinder u. Deine Schwiegersöhne über alles denken,

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was die [?] Northoth'sche [/?] Presse über uns Deutsche gelogen hat - aber Du hast 1907 in Blankenburg u. Wernigerode ja unser Volk beobachtet, wie es still, fleißig u friedlich seiner Arbeit lebte. Du wirst all die Scheußlichkeiten nicht glauben, die man uns andichtet, nicht wahr? Ohne die russischen Bolschewisten, deren Agenten mit englischem Gelde bezahlt wurden, wäre [insertion] auch [/insertion] die jetzige wüste Unordnung in unsern Großstädten nie so verderblich geworden. Aber der bessre Teil unsers Volkes fängt schon wieder an, sich auf sein bessres Selbst zu besinnen. Wenn wir den nächsten Winter mit seinem Hunger, seiner Kohlennot u. den unerschwinglich

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hohen Preisen aller Lebensmittel, die nur die ganz Reichen bezahlen können, erst überstanden haben, dann geht es wieder aufwärts. Aufwärts mit unserm deutschen Volkstum - es [underline] kann [/underline] u. wird nicht untergehn. - Lieber Schwager Louis, dieser Brief sollte Dir zum 16ten Sept. dem Geburtstag unsrer geliebten Jose eine kleine Freude sein. Ein Zeichen, daß ich deiner in alter, treuer Zuneigung gedenke; nie den schönen Sommer - mit Euch im Harz 1907 verlebt - vergessen werde; u. dir nochmals danken möchte, daß du uns dies Wiedersehn mit Jose u. das Dich-Kennen-Lernen ermöglicht hast. Es war zu schön.

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Herzlich grüßt Dich und Deine lieben Kinder, besonders

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Dora. Euer recht altwordnes Tante Friedchen.

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