Sammlung: Raster Family Letters

Verfasser: Hermann Raster

Empfänger: Sophie Raster

Bezeichnung: Brief von Hermann Raster an seine Schwester Sophie Raster, 31. Oktober 1871.

Hermann Raster an Sophie Raster, 31. Oktober 1871

Englischer Text

Original text

Chicago, 31. Oktober 1871

Meine liebe Schwester

Indem ich heute, zum Geburtstage unsres Bruders Askan, dessen Bild ansehe (das ich samt Deinem, Maries und Mathildes, die über dem Klavier hingen, gerettet habe) fällt es mir wie eine Sünde auf das Gewissen, daß ich Mathilden, wenn sie zurückkommt, nicht das große Bild ihrer Mutter geben kann, welches im Vorderparlor über dem Kamin hing. - Als die feurige Lohe, die schon Tausende von Häusern verzehrt hatte, sich unserm Hause näherte, und wir auf einen uns von Gustorf (von Hesings Hohlmühle) geschickten Wagen die vorher zusammengerafften Bündel mit dem Silberzeug, Kleidern, Wäsche u. Betten warfen, riß ich auch das Bild von Mathildes Mutter herab und wollte es aufladen; aber Schönberg hielt mich davon ab, meinte, es wäre Schade, das Bild würde

[page 2:]

zertrümmert werden; er wolle es selbst zu Vocke tragen (3/4 Meile nördlich von uns, am Lincoln Park, wohin wir uns zunächst flüchteten). Zu warten und sich zu besinnen, war nicht viel Zeit, denn die brennenden Balken und Schindeln flogen schon wie die Meteore von Huckes Brauerei herüber unter die todten Katholiken und setzten die Geländer der Grabstätten in Brand; - jeden Augenblick konnten sie in unser Haus einschlagen und dann hätte es eine Hetzjagd ums liebe Leben gegeben. Also marschirten wir ab, - Gretchen und die Kinder waren schon weg; Schönberg nahm mich unter den einen Arm, unter den andern das Bild und so wanderten wir vorwärts, nicht ohne daß ich manche bittere Thräne vergossen hätte, als ich einen Blick zurück warf auf das Haus, in welchem wir so manche glückliche Stunde verlebt hatten und an das jetzt das Feuer, Satan mit dämonischer Gewalt heranbrauste. - Von dem, was an dem Tage weiter geschehen, weiß ich wenig, außer daß Schönberg mich wie einen Kranken, oder Trunkenen zu  Vocke schleppte,

[page 3:]

von wo wir noch vier oder fünf Stunden weiter vertrieben wurden; - daß wir uns am Abend in einer elenden Hütte weit nördlich an Fullerton Avenue fanden, - und daß daß Bild von Mathildes Mutter weg war. Ob Schönberg es schon auf dem Wege zu Vocke hat fallen lassen, ob es dort mithin genommen und verbrannt ist : - Niemand weiß es. Schönberg selbst ist nach dem Feuer nach New York gereist und erinnert sich an Nichts.

Nun habe ich an Dich eine Bitte. Das Bild war selbst nicht Original, sondern nach Tode von einem (ebenfalls verbrannten) Daguerrotyp copirt. Von diesem habe ich gleichzeitig kleine Copien photographiren lassen und Du hast, meines Erinnerns, eine davon in Deinem Album. Könntest Du nun nicht diese Copie vergrößern und von Friedrich in Öl oder Wasserfarben ausführen lassen? Es wäre das beste Weihnachtsgeschenk für Mathilde. Was immer es kostet, will ich gern bezahlen, denn wenn ich

[page 4:]

auch abgebrannt bin und nicht mehr so große Sprünge machen kann, wie früher, - am Nothwendigen fehlt es mir doch nicht. Aus Deiner eigenen Erinnerung kannst Du dem Maler die nöthigen Andeutungen für die Porträt-Ähnlichkeit geben, die allerdings, ohne solche Andeutungen, schwer zu treffen ist. - Es würde mir die beste Weihnachtsfreude sein, wenn Du mir melden könntest, daß die Ausführung des Porträts gelungen wäre.

Alle sonstigen Verluste, die mir das Feuer bereitet hat, habe ich schon fast verschmerzt. Was ich in 16 Jahren in New York erworben hatte, ist allerdings vernichtet, aber mein Achtels-Antheil an der Zeitung wird in zwei Jahren wieder seine 15000 und mein Lot 5000 Doll. werth sein. - Die Briefe und alle schriftlichen Erinnerungen an meine Jugend sind hin: - thut nichts, so fange ich eben mit  Grethchen eine neue Jugend an. Seit einigen Tagen ist Grethe  aus dem Bett und fühlt sich in unserer kleinen Hütte so behaglich, heiter und munter, wie je in dem Hause in Dearbornstr.; - was kann ich mehr verlangen?

Dein treuer Bruder H Raster